Sicherheitswahn: taz boykottiert Leichtathletik-WM

Gut, mag sein, dass wir bei Netzpolitik nicht gerade das sportlichste Blog des Landes sind. Mit Überwachung und Datenschutz hingegen kennen wir uns ein bisschen aus. Und genau deshalb können wir gut nachvollziehen, warum sich die geschätzten Kollegen von der taz querstellen:

PRESSEMITTEILUNG, Berlin, 5. August 2009

Die taz boykottiert Berichterstattung über Leichtathletik-Weltmeisterschaft

Kein Ereignis ist wichtig genug, um für eine Berichterstattung die Grundregeln der Pressefreiheit zu verraten. Deshalb hat sich die in Berlin erscheindene tageszeitung (taz) entschieden, über die Leichtathletik-Weltmeisterschaft, die am 15. August in Berlin beginnt, nicht zu berichten.

Wie schon bei der Fußball WM 2006, müssen JournalistInnen, um eine Akkreditierung für die WM zu bekommen, einer umfassenden Überprüfung ihrer persönlichen Daten zustimmen. Genutzt werden dabei Datensammlungen der Polizei des Bundes und der Länder bis hin zu Informationen des Verfassungsschutzes sowie des Bundesnachrichtendienstes.

Die taz versteht das als massiven Eingriff in das Gebot der Pressefreiheit. Wenn ein Journalist nachweisen kann, dass er ein Journalist ist, hat er das Recht seiner Arbeit nachzugehen. Jegliche Einschränkungen sind aus guten Gründen nicht geboten.

Die Datenerhebung wird nicht nur zu einer rechtswidrigen Auflage gemacht, um eine Arbeitsgenehmigung im Olympiastadion zu bekommen. Dazu kommt, dass  privaten Unternehmen, jetzt dem Berlin Organising Committee (BOC), bei der Fußball WM der FIFA, die Daten der Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt werden. Es sind dann schließlich diese Privatunternehmen die entscheiden, wem es erlaubt wird, das Stadion zu betreten und wem nicht. Auch dafür gibt es keinerlei Rechtsgrundlage.

Diese so genannten Zuverlässigkeitsprüfungen sind ein weiterer Beleg dafür, dass unter dem Deckmäntelchen Sicherheit die Rechte von JournalistInnen immer weiter eingeschränkt werden. Nachdem die Überwachung von Telefon- und Internetdaten deutlich ausgeweitet wurde, werden Pressevertreter bei Großveranstaltung offensichtlich immer häufiger gezwungen, einem Personencheck zuzustimmen, wenn sie ihre Arbeit machen wollen.

Dieses Spiel macht die taz nicht mit.

*** *** ***

IMPRESSUM
taz Verlag
Rudi-Dutschke-Strasse 23
10969 Berlin

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

23 Ergänzungen

  1. Lobenswerte Aktion – Schade nur, dass die Leser schlicht auf eine andere Zeitung (oder Fernsehen, Internet, whatever) ausweichen werden und der Protest dieser Aktion damit vollständig verpufft. Würden sich die Medien geschlossen dagegenstellen, weil hier die Pressefreiheit untergraben wird, hätte das einen Effekt – so ist es leider nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

  2. @thomas
    – das problem ist nur, dass es seit den späten sechziger jahren in DE ‚DIE presse‘ nicht mehr gibt; jeder kocht sein eigenes süppchen.
    ich hoffe, dass es der taz-boykott wenigstens bis in die tagesthemen schafft. Vielleicht (?) dächte ja dann mal der eine oder andere nach, obwohl –

  3. Das finde ich gut. Ich hoffe, das diese Aktion sich rumspricht in der Pressebranche.

    Immerhin ist die TAZ ja auch nicht gerade ein kleines Revolverblatt aus Nirgendwo.

  4. Nicht nur die Akkreditierung für die Leichtathletik-WM ist problematisch, schon die Verwendung der „zur Verfügung gestellten“ Pressematerialien gestaltet sich recht schwierig, weil man für alle Bilder, Logos, Maskottchen und Schriftzüge vor Veröffentlichung die Einwilligung verschiedener Copyright-Inhaber im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens einholen muss, um eine Klage zu vermeiden. Dazu gibt es extra ein 96-seitiges „Graphic Standard Manual“ mit Richtlinien.
    Das war mir dann auch ein bißchen zu umständlich für einen einfachen redaktionellen Bericht…

  5. Ich denke diese Aktion (Boykott) der taz sollten alle JournalistInnen unterstützen (die sich noch nicht verkauft haben), und die Pressefreiheit noch für eine wichtige und zu schützende Intuition halten, in diesem bröckelnden Deutschen Rechtsstaat.

    Ja, wir brauchen viel mehr solche Aktionen der schreibenden Zunft, und ich bin mir sicher, den längeren Arm werden sie haben, wenn man sich nicht einschüchtern lässt…

  6. Super Reaktion! Mutig und einfach nur gut!

    Schade, dass keine anderen Medien den A… in der Hose haben, dies ebenso zu tun.

    Großes Lob!

    Jörg B.

  7. Bravo TAZ! Ganz großes Lob an die Berliner Tageszeitung. Mich interessiert diese „Internationale Pharmaindustrie Ausstellung“ eh nicht – uns sich als Journalist dafür wien Schwerverbrecher behandeln lassen müssen muss nicht sein.
    Schön wärs wenn noch andere Medien sich dem Boykott anschließen, wird wohl leider keinen genug „Arsch in der Hose“ dazu haben.

  8. Mich würde mal interessieren, wer so eine Sicherheitsüberprüfung anordnen kann. Darf das jede dahergelaufene Privatfirma? Welche Anforderungen muss man dafür erfüllen? Muss die Privatfirma dafür Gebühren beim Staat bezahlen? Empfiehlt die Polizei eine solche Sicherheitsüberprüfung?

  9. Sehr gute Aktion, hoffe sie findet Nachahmer. Was seit dem 9/11 in den letzten Jahren alles passiert ist unter dem Namen der „Terrorbekämpfung“ geht Schritt für Schritt in Richtung Überwachungsstaat und ist ein Einschnitt unserer Grundrechte der so nicht mehr einfach hinzunehmen ist. Sicherheit bedeutet nämlich auch die Sicherung der persönlichen Entfaltung und Freiheit.

  10. Der erste Teil der hier zitierten taz-Kritik ist Unsinn. Es ist ziemlich leicht, einen Journalistenausweis zu bekommen, man muss dazu nur Journalistik studieren oder ein paar Artikel pro Jahr in irgendeinem Anzeigenblatt veröffentlichen. In Kombination mit den Sonderrechten, die Journalisten bei solchen Veranstaltungen gewährt werden entsteht so eine reale Sicherheitslücke. Dementsprechend ist es völlig in Ordnung, wenn die Namen kurz durch die entsprechenden Datenbanken gejagt werden um Extremisten mit Presseausweis auszufiltern.
    Wenn die Überprüfung intensiver ist ist das natürlich etwas anderes, nur schreibt die taz in obigem Zitat nichts dazu.
    Die Weitergabe an private Unternehmen ist natürlich nicht in Ordnung und ein guter Grund, der Veranstaltung aus Protest fernzubleiben.

  11. @Markus Nagler: Einen Presseausweis bei den 4 großen Verbänden oder Freelens zu bekommen (und das ist, der letztendlich zählt) ist seit der Umstellung 2007/2008 deutlich schwieriger geworden und in der Regel hauptberuflichen Journalisten vorbehalten. „Ein paar Artikel pro Jahr in irgendeinem Anzeigenblatt“ reichen da definitiv nicht, da u.a. Verdienstnachweise gefordert werden.

    Auch als Student reicht es nicht, einfach nur in einem journalistischen Studiengang eingeschrieben zu sein. Verdi verlang z.B. eine Bestätigung des Instituts, dass der PA benötigt wird oder eben einen Nachweis, dass der überwiegender Teil des Lebensunterhalts …

    Die Nachweise sind jährlich zu erbringen.

    Siehe hier:
    http://dju.verdi.de/service/presseausweise/merkblatt_presseausweis

    Bereits diese Regelungen sind mit Blick auf eine tatsächlich freie Presse kritisch zu hinterfragen. Eine „Sicherheitslücke“, die die beschriebenen Maßnahmen rechtfertigt, sehe ich aber nicht.

  12. Ein Hoch auf die TAZ. Wobei Sport ja sowieso nicht zu deren besonderen Hobbies gehört. Die TAZ sollte sich anderen, politischen Aufgaben widmen. Gruß

  13. @ Jörg-Olaf Schäfers
    Stimmt, es ist schwieriger geworden. Auch bei verdi reichen aber notfalls Künstlersozialkassenbescheinigung und Veröffentlichungsnachweise. Bei Studierenden bezweifle ich, dass die Institute die Bestätigung nicht blanko ausstellen, schließlich muss jede/R entspreche Studierende auch journalistisch arbeiten. Hinzu kommt:
    http://www.junge-presse.de/index.php?id=165
    und
    http://www.njb-online.de/angebot/presseausweis/presseausweis.html
    Mithin genau die 1-2 Vöffentlichungsnachweise pro Jahr, die ich genannt habe.

    Um mal von der exakten Schwierigkeit wegzukommen, einfach deshalb, weil ich keine Studie kenne, die besagt wie schwierig es in der Praxis tatsächlich ist und war: Wir sind uns völlig einig, dass zu hohe Hürden für den Presseausweis ein Problem für die freie Presse sind. Gleichzeitig ist aber klar, dass der Zugang zu bestimmten Bereichen – auch aus Sicherheitsgründen – _irgendwie_ reguliert und abgesichert werden muss.
    Von den drei Möglichkeiten, die mir spontan einfallen: Datenbankableich beim Presseausweis, Datenbankabgleich bei Akkreditierung und vollständige Durchsuchung inklusive Leibesvisitation bei jedem Einlass erscheint mir ein Datenbankabgleich bei der Akkreditierung noch der verträglichste.

  14. Zitat 20: „Gleichzeitig ist aber klar, dass der Zugang zu bestimmten Bereichen – auch aus Sicherheitsgründen – _irgendwie_ reguliert und abgesichert werden muss.“

    Wieso eigentlich? Wegen Terrorabwehr mal wieder? Ich denke wir können davon ausgehen, das es 100% Sicherheit nie geben wird. Wer dort eine Bombe zünden will wird einen Weg finden imho. Vor dem Stadion, im Stadion, usw. Zu welchen sicherheitskritischen Bereichen haben Journalisten eigentlich Zugang? Sicherlich nicht zu den Sportlerquartieren, oder? Es wäre in der Tat interessant zu erfahren wie im Detail die Überprüfungen gerechtfertigt werden. Aber wahrscheinlich gibt es nur wieder allgemeine Verweise auf die diffuse Sicherheitslage.

  15. @bernd
    Ich kenne keine Hintergründe oder Details, vermute aber, dass das eigentliche Horroszenario eher eine Geiselnahme wie München ’72 ist;
    und, dass die Sicherheitsvorkehrungen „backstage“ wesentlich laxer sind: Weil das normalerweise reicht, weil niemand inklusive der Athleten Lust auf dauernde Kontrollen durch Schwerbewaffenete hat und weil es ja gerade der Sinn abgetrennter Bereiche ist, dass man dort entspannter sein kann.
    Kann natürlich alles ganz anders sein, aber bisher hat die taz dazu meines Wissens nichts geschrieben.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.