Zensursula-Anhörung vor dem Rechtsausschuss: Erste Stimmen (Nachtrag)

So langsam trudeln die ersten Kommentare zur Anhörung zum Zugangserschwerungsgesetz ein. Halina Wawzyniak (Die Linke) meint:

Die heutige Anhörung zum Zugangserschwerungsgesetz hat wieder einmal deutlich gemacht, dass Netzsperren kein geeignetes Mittel im Kampf gegen die Verbreitung von Kinderpornographie im Internet sind. Ebenso sind sie als Mittel der Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder völlig ungeeignet. Netzsperren binden vielmehr Personal und Ressourcen, die besser in die Verfolgung der Täter und die tatsächliche Löschung von kinderpornographischen Inhalten im Internet investiert wären, so die Meinung der Mehrheit der Sachverständigen. […]

Die Redaktion von GrünDigital schreibt:

Leider wurde die heutige Anhörung trotz anders lautender Ankündigungen nicht gestreamt. Auch ob es einen öffentlich zugänglichen Audiomitschnitt geben wird, ist bislang noch unklar. […] Während die Meinung der Juristen, was das Vorgehen der Bundesregierung, ein […] Gesetz einfach per Ministererlass auszusetzen […], angeht, war die Meinung der gehörten Sachverständigen eindeutig. Hier handele es sich um ein klar verfassungswidriges Vorgehen. […] Das Zugangserschwerungsgesetz sei, so zahlreiche Experten, zudem formell und materiell verfassungswidrig. […]

Stefan Krempel berichtet für Heise Online von einer lustigen Wette: Peter Jürgen Graf, Richter am Bundesgerichtshof, wettet, dass 2/3 die „Blockade von Webseiten mit ihren Smartphones nicht umgehen könnten.“ – Leider hat Graf seine Wette nur den anwesenden Abgeordneten angeboten.

Liebe Ausschussmitglieder, falls ihr die Wette gewinnen wollt: Bereits die Nutzung eines Anonymisierers wie anonym.to oder dontknow.me/at/ sollte ausreichen, um eine DNS-Manipulation im Netz des Mobilfunkanbieters zu umgehen. Falls nicht, fragt auf dem nächsten Schulhof, welche VPN-Anbieter derzeit empfehlenswert sind.

Deutlich interessant scheint mir da schon ein Wettangebot von Alvar Freude an das BKA:

Werfe die Wette in den Raum: alles was #BKA nicht gelöscht kriegt bekomme ich innerhalb drei Tagen weg.

Gut, dazu wird es wohl nicht kommen. Dafür erklärte der BKA-Vertreter, warum man Kinderpornographie nicht löschen könne: Generell würden Kinderpornos „nicht gelöscht, sondern nur an dieser Stelle nicht mehr verfügbar“ gemacht. Und genau deshalb brauchen wir Netzsperren! Moment, … damit „Kinderpornos“ an der gesperrten Stelle zwar verfügbar bleiben, aber nicht mehr sichtbar sind, oder was?

Noch mal zurück zu BGH-Richter Graf. Laut taz.de hat Graf auch keine Bedenken, was die Verfassungskonformität von Websperren betrifft:

„Verfassungsrechtliche Gründe, welche einer Sperrung von Seiten mit kinderpornographischen Inhalten entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich“

Gut, zumindest unter den geladenen Juristen vertrat Graf damit eine Mindermeinung.

Ausschussmitglied Burkhard Lischka fasst die Stimmung im Blog des SPD-Fraktion noch einmal zusammen:

Egal, wie man zum Zugangserschwerungsgesetz steht. Eines steht nach der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss zum Zugangserschwerungsgesetz fest: Wir haben einen verfassungswidrigen Zustand. […] Netzsperren sind wenig effektiv, können leicht umgangen werden und sind nur eine Scheinlösung eines sehr ernsthaften und dringenden Problems. Noch schlimmer: In Ländern, die auf Netzsperren setzen, ist eine gewisse Tendenz erkennbar, die Löschung zu vernachlässigen. Wie anders ist es zu erklären, dass elf deutsche Angebote, die bereits im Oktober auf einer dänischen Sperrliste standen, bis heute nicht gelöscht wurden? […]

Nachtrag: Fast hätte ich vergessen auf Siegfried Kauder hinzuweisen. Als Vorsitzender der Ausschusses war Kauder (CDU) eigentlich zur Neutralität verpflichtet. Mit eben dieser hatte Herr Kauder laut Telepolis aber so seine Schwierigkeiten:

Schwierigkeiten hatte Siegfried Kauder (CDU), in seiner Funktion als Ausschussvorsitzender die Neutralität zu wahren. Zwar betonte er, an einer parteiübergreifenden Lösung interessiert zu sein, da sich das Thema für parteipolitische Profilierung nicht eigne. Jedoch unterstellte er während der Sitzung den Gegnern von Netzsperren, missbrauchte Kinder als Lockmittel nutzen zu wollen – was freilich niemand so gesagt hatte. Zudem versuchte Kauder, der schon in der Sitzung des Petitionsausschusses zu Netzsperren derart mit unsachlichen Fragen aufgefallen war, dass ihm das Wort entzogen wurde (siehe Die Petition gegen Netzsperren war ein „voller“ Erfolg), mit einer persönlichen Geschichte Emotion in die Debatte zu bringen. […]

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16 Ergänzungen

  1. Es ist immer noch schockierend. Technisch versierte Sachverständige legen klar, dass Netzsperren in dem angestrebten technischen Verfahren unwirksam sind. Zudem stellt man fest, das wohl seitens BKA nicht mal deutsche Seiten zeitlich angemessen gelöscht werden. Trotz alledem wollen immer noch Politiker eines demokratischen Rechtsstaates Ihren Willen gegen die Grundrechte der Menschen durchsetzen.
    Das ist der Versuch eine „Parteidiktatur“ aufzubauen. Was eine regierende Partei will, darf gegen die Grundrechte der Menschen, trotzdem beschlossen werden. Das liegt im Trend.
    Stuttgart 21: 7 Milliarden Kosten und das Volk ist lästig wenn es kritisiert.
    Atomausstieg: Keiner glaubte ernsthaft dass die CDU den Atomausstieg kippt gem. Ihrem Wahlprogramm, weil das offensichtlich Klientelpolitik wäre. Die CDU tut’s.
    Ich frage nur, wer ist das Volk?

  2. Immer stärker wird mein Eindruck, dass die Verfechter des Stoppschildes ein persönliches Interesse daran haben den strafbaren Inhalt auf den Servern unbedingt erhalten zu wollen.

    Ich will nicht unterstellen, dass dahinter ein Geschäftsmodell steckt, sich am Verkauf gesperrter IPs persönlich zu bereichern.
    Als willkomme Form der Arbeitsbeschaffung sind alle nicht gelöschten Inhalte aber außerordentlich nützlich. In diesem speziellen Fall bräuchten die Ermittler künftig nie mehr die Notwendigkeit ihrer Arbeitsplätze nachzuweisen. Es reicht die schlichte Behauptung, denn die Effizienz der eigenen Arbeit wäre dank der selbst erstellten geheimen Sperrlisten vor jeglicher Überprüfung geschützt.

    Einen derartigen Traumjob hatten meines Wissens nur die Schneider in Andersens Märchen „Des Königs neue Kleider“.

  3. @3: Niemand in der Politik hat vor, Probleme endgültig zu lösen. Gerade wenn man sich so gut dadurch profilieren kann, wenn man dagegen kämpft (oder dagegen zu kämpfen vorgibt – die meisten Leute können das eh nicht unterscheiden).

  4. Es geht der Union und Rechtskonservativen, nie wirklich um Sicherheit oder Schutz von irgendwem oder irgendwas. Es geht einzig und allein um (staatliche) Kontrolle. Das Staatsverständnis von Unionsleuten, entspricht dem der Bismarck-Ära. So ein bisschen Parlament/Kammer fürs Volk. Aber die wirkliche Macht und Kontrolle übt ein starker Herrscher aus, bei dem jede Letztentscheidung liegt, was das Volk tun darf und was nicht.
    Aus diesem Grund interessiert sich auch kein Unionschrist wirklich für Grundrechte, weil sie nicht ins weltliche Bild passen, wonach nicht der einzelne der höchste Souverän ist, sondern ein Herrscher.

    Das ist auch der Grund weshalb noch sohwachsinnige \Sicherheitsmaßnahmen\ aufrecht erhalten werden. Sie ermöglichen umfassende Kontrollen von Passanten(Videokameras), dem was im Web gesehen werden darf und was nicht (Websperren) und der VDS, sowie dem Lauschangriff. Es darf und soll keinen Freiraum für den Einzelnen geben, zu dem der Staat sich nicht Zutritt verschaffen kann. Es könnte dort ja etwas von statten gehen, was man mißbiligt.

  5. @Andreas: Nein, das war so zu erwarten. Gegen _Jugendschutz-Regeln_ verstößt „Tatort Internet“ wohl wirklich nicht (Das ist der Aufgabenbereich der KJM).

    Meiner Meinung gab es in der Sendung aber mehrfach Verstöße gegen das Persönlichkeitsrecht und wohl auch div. Normen des Strafrechts. Zumindest ersteres fällt nach meinem Verständnis in den Bereich der ZAK/ALM. Und dort steht eine Entscheidung ja noch aus.

    Wenn ich richtig mitgezählt habe, lief am Montag die 7. von 10 geplanten Sendungen. Die „Kommission für Zulassung und Aufsicht“ hat also noch etwas Zeit ,)

    PS: Bei RTL2 hat das Interesse für den Kinderschutz inzwischen schon wieder nachgelassen. Auf der Startseite von rtl2.de findet sich kein Hinweis mehr auf das Format (und die begleitenden „Hilfsangebote“).

  6. @Jörg-Olaf:

    Es bleibt in der Tat die Frage, warum sich die von dir genannten Stellen so viel Zeit lassen mit der Entscheidung.

    Und es ist zu unterstellen, daß man kein wirkliches Interesse daran hat, erstens die Machart der Sendung (wie auch die gesamte Prämisse einschließlich der angeblichen „Gesetzeslücke“) zu kritisieren, und zweitens die Diskussion wieder auf eine an Fakten orientierte sachliche Ebene zurückzuholen.

  7. Zur empirischen Einordnung nochmal ein detailliertes und (qualitativ wie quantitativ) sehr differenziertes Bild über das Thema „schlechte Erfahrungen junger Menschen im Netz“ bei ZDF auf heute.de.

    Interviewt wurde Uwe Hasenbrink, der an der EU-Studie zu diesem Thema mitgearbeitet hat:

    „Eltern überschätzen das Cybermobbing-Risiko“

    http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/13/0,3672,8128205,00.html?utm_source=feedburner&utm_medium=twitter&utm_campaign=Feed%3A+heute%2F2+%28heute-Nachrichten%29

    Quote: „Anzügliche oder explizit sexuelle Botschaften haben im letzten Jahr 15 Prozent der 11- bis 16-Jährigen erhalten, gut ein Fünftel von ihnen fühlte sich davon unangenehm berührt oder belästigt.“

    Lesenswert!

    Ich hoffe, die Studie wird auch von Frau Schröder im Fam.ministerium & bei „DialogInternet“ ausreichend zur Kenntnis genommen.

  8. “Verfassungsrechtliche Gründe, welche einer Sperrung von Seiten mit kinderpornographischen Inhalten entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich”

    Gäbe es einen Mechanismus, der das leisten könnte (und zwar ohne Möglichkeit des Missbrauchs oder des Irrtums), wäre der sicher verfassungsrechtlich unbedenklich.

    Das einzige Problem ist, dass es keine Möglichkeit gibt, technisch umzusetzen, dass zielgenau _nur_ solche Seiten gesperrt werden können.

    „Etwas, das nicht realisierbar ist wäre, könnte es umgesetzt werden, verfassungsrechtlich unproblematisch“ klingt einfach blöd, und so kommt es halt zu der nicht weniger präzisen, aber dennoch missverständlicheren Formulierung des Herrn Graf.

  9. Seit Jahren immer wieder diese Debatte. Vor, zurück, vor, zurück.

    Ich lasse mich nicht mehr nerven.

    Die Herrschaften sollen bescheid sagen, wenn sie zu Potte gekommen sind.

    DANACH werde ich mich mit deren Ausgeburt beschäftigen. Juristisch und auch in anderer Hinsicht.

    Ich habe keine Lust, der Glucke jahrelang beim Legen ihrer faulen Eier zuzuschauen. Habe echt andere Hobbies. Und 2013, wenn die Brutzeit vorbei ist, brüten wieder ganz andere Hennen.

    Putt, putt, putt!

  10. By @PG #13:
    >> Das einzige Problem ist, dass es keine
    >> Möglichkeit gibt, technisch umzusetzen, dass
    >> zielgenau _nur_ solche Seiten gesperrt werden
    >> können.
    Genau dazu wollte ich ‚was schreiben: Appropos wetten: Ich dachte mir schon von 1-2 Jahren, dass man einfach eine Strafe verhängen sollte für Fehl-Sperrungen.
    Oder ums klarer zu sagen: Ich will, dass Leute PERSÖNLICH haften, wenn Angebote gesperrt werden, die kein Kinderpornografisches Material enthalten. Und ebenso, wenn eine Seite mal „Darstellungen von Kindesmissbrauch“ enthielten, nun aber nicht mehr nach einem Zeitraum X noch auf der Liste stehen.

    Da die Liste geheim sein soll und somit das Risiko erwischt zu werden gering ist müssen solche „Strafen“ empfindlich hoch sein. Die Kohle kann wahlweise an den Staat, an mich oder an den gesperrten Anbieter gehen.

    Was das mit Wetten zu tun hat? Naja wahrscheinlich kann man eine persönliche Haftung nur darüber realisieren. Man müsste also zu $Befürworter gehen und ihm die Wette anbieten „für jede gesperrte Seite, die nicht gesperrt sein sollte gibst du mir $Euro“. Die Frage ist nur: Was bietet man an?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.