Netzsperren durch neuen Glücksspielstaatsvertrag?

Gemeinsame Presseerklärung von AK-Zensur und Chaos Computer Club: Arbeitskreis gegen Internetsperren und Chaos Computer Club warnen vor dem Einschleppen von Netzsperren durch neuen Glücksspielstaatsvertrag.

Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur) und der Chaos Computer Club (CCC) warnen vor dem neuen Glücksspielstaatsvertrag, der zur Zeit abseits der Öffentlichkeit verhandelt wird. Der dem CCC zugespielte Entwurf des Staatsvertrages macht deutlich, dass die Ministerpräsidenten der Bundesländer erneut über die Einführung von Internetsperren nachdenken. Der Arbeitskreis fordert die Ministerpräsidenten der Länder auf, umgehend den Stand der Verhandlungen offenzulegen und die Zivilgesellschaft zu beteiligen.

„Wir erleben hier einen weiteren Versuch, eine Zensurinfrastruktur in Deutschland aufzubauen. Diesmal kommt er unter dem Deckmäntelchen der Prävention von Glücksspielsucht, wahrscheinlicher ist jedoch die Furcht vor Steuereinnahmeverlusten durch ausländische Glücksspielseiten“, erklärt Benjamin Stöcker, Mitglied im AK Zensur. „Damit wird dem freien Zugang zu Informationen im Netz der Kampf angesagt. Dabei dachten wir, die Politik hätte aus den Debakeln beim Jugendmedienschutzstaatsvertrag und dem Zugangserschwerungsgesetz gelernt.“

Welche Sperrtechnik zum Einsatz kommen soll, ist dem Entwurf nicht eindeutig zu entnehmen. Es besteht aber Grund zur Befürchtung, dass die Eingriffe diesmal noch über die geplanten Stoppschilder des Zugangserschwerungsgesetzes hinausgehen sollen. Denkbar ist, dass die Zugangsprovider zu Sperren auf IP-Adress-Ebene oder gar einer sogenannten Deep Packet Inspection – und damit der Überwachung des gesamten Netzverkehrs – genötigt werden sollen. Dies wären Techniken, wie sie sonst nur in China und anderen totalitären Regimes zum Einsatz kommen.

„Auch nach den monatelangen Debatten über Netzsperren und dem politischen Scheitern dieser technisch kontraproduktiven und die Demokratie gefährdenden Maßnahmen hat offenbar noch immer kein Umdenken in den Staatskanzleien der Länder eingesetzt. Stattdessen wird eine erstaunliche Lernresistenz an den Tag gelegt und dem längst verwesenden Pferdekadaver namens ‚Netzsperren‘ ein neues Sättelchen angelegt“, sagte CCC-Sprecher Dirk Engling.

Der AK Zensur fordert die Ministerpräsidenten der Länder auf, umgehend den aktuellen Verhandlungsstand des Staatsvertrages zu veröffentlichen und klarzustellen, mit welchen technischen Maßnahmen die Sperrforderung im aktuellen Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages durchgesetzt werden soll. Außerdem soll eine angemessene gesellschaftliche Debatte über geplante DNS-Manipulationen und eine kritische Beteiligung der Zivilgesellschaft bei den Verhandlungsrunden statt der Kungelrunden hinter verschlossenen Türen ermöglicht werden.

Wörtlich steht im Entwurf vom 3. Dezember 2010 im § 9 Absatz 5, die Glücksspielaufsicht könne

Diensteanbieter im Sinne des Telemediengesetzes nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die verantwortliche Mitwirkung am Zugang zu den unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird durch Satz 1 eingeschränkt. Hierdurch sind Telekommunikationsvorgänge im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes betroffen.

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23 Ergänzungen

  1. Es geht nicht um Lernfähigkeit oder so. Es geht um Geld. Moneta. Cash. Money.
    Die Techniken zur Sperrung gibt’s bereits, auch mit dt. Unterstützung. Nun muss natürlich ein möglichst großer ROI her, und der ist nur gegeben, wenn die Technik auch eingesetzt und gewartet wird.

    Moralische Überlegungen können wir vernachlässigen, das würde am Kern dieser Debatte vorbeigehen.

  2. Sehe ich das richtig, dass mit „Diensteanbieter“ die Provider gemeint sind? Oder sind das die Glückspiel-Anbieter?

  3. @Noname: Nunja, die PM ist ein wenig alarmistisch. Richtig ist, dass Netzsperren im Kontext des Glücksspielstaatsvertrags diskutiert werden. Es ist im Prinzip wie beim JMStV, wo Netzsperren auch immer wieder als „ultima ratio“ ins Spiel gebracht werden (Beim JMStV gibt es über die Etablierung der Jugendschutzprogramme noch ein weiteres Problemfeld, aber das würde nun zu weit führen …).

    Ein Vergleich mit dem Zugangserschwerungsgesetz ist problematisch, da es sich in beiden Fällen im – come si dice? – Verfügungen in Einzelfällen handelt und gerade nicht um eine Sperrliste inkl. entsprechender Infrastruktur im Hintergrund.

    Oder, anders gesagt, würde mit dem Zugangserschwerungsgesetz eine Infrastruktur für Netzsperren kommen, wäre es deutlich leichter im Jugendmedienschutz oder im Fall nicht lizensierter Glückspiele zur „ultima ratio“ zu greifen.

    Das macht Sperren (bzw. „Zensur“) nicht besser, ist aber eine andere Ebene/Qualität als bei #zensursula bzw. #censilia …

  4. In der aktuellen Fassung soll die Regelung um die Worte „Insbesondere Zugangsprovider und Registrare.“ ergänzt worden sein. Wer dann den juristischen Hintergrund des Wortes „insbesondere“ im Hinterkopf behält…

  5. jetzt sollte auch dem letzten klar sein, daß die Netzsperren schlichtes politisches reverse engineering sind – man will die Zensur ganz einfach haben, egal wie, und hat immer nur nach einem Grund gesucht sie einzuführen. Das mit der Kinderpornografie ist spektakulär gescheitert, der JMStV ist auch vor die Wand gefahren worden, jetzt versucht mans halt noch stiller und noch heimlicher, indem man die Sperren mit etwas auf den ersten Blick so unspektakulärem wie dem Glücksspielstaatsvertrag implementieren will.

    Und während die Kinderschützer noch schäumen weil man sie ausgebootet hat, lachen sich unsere Zensoren, die Friedrichs, Schäubles und Zensursulas (denkt nur daran daß Uschis einer Bruder in der Glücksspielbranche tätig ist!!) ins Fäustchen, wie sauber jetzt das Volk ausgetrickst wird. Ohne emotionale Debatte, einfach durch ein unauffälliges, trockenes dröges Regelwerk das den Charme einer Hundeleinenverordnung versprüht.

  6. tja. mit der kipo-nummer haben sich zensursula und ihre (un)würdigen nachfolger ordentlich ins knie gef…ckt. jetzt kommt halt die glücksspielnummer. das wird ewig so weiter gehen, bis endlich die diktatur eingeführt ist,d ann spielt es wenigstens keine rolle mehr. und man muss sich wegen dem keine gedanken mehr machen.

    mir tut nur jeder cent weh, den ich diesen politdeppen als steuer in deren tasche bezahlen muss, am liebsten würde ich denen mal so richtig in den arsc. treten. nein, nicht virtuell…..

  7. Ich schaue hier nicht so oft rein, und deshalb kann es sein, dass mein Einwand schon anderweitig ausgeräumt wurde. Dennoch bitte ich um eine Antwort auf folgende Frage:

    Was sind denn die Möglichkeiten eines Staates, um gegen unerwünschtes Verhalten im Internet vorzugehen? Für den konkreten Fall hier vermisse ich eine Aussage in dem Artikel.

    Ich glaube, die Zensursula-Kampagne war deshalb so erfolgreich, weil sie in dem knappen wie einprägsamen Solgan „Löschen statt Sperren“ die Alternative benannt hat. Das fand ich gut.

    Dass der Staat Steuern eintreibt, halte ich für legitim. Was soll der Staat unternehmen, wenn über das Netz in Deutschland regulierte/steurpflichtige Geschäfte abgewickelt werden (die im Ausland nicht allgemein verboten/geächtet sind)?

    Natürlich kann auch ein zähneknirschendes Nichtstun eine Lösung sein, wenn alle anderen Maßnahmen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verletzen. Das muss dann aber gut begründet werden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.