Internet: Bedrohung für Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft

Der Bundesverband der Dienstleistungswirtschaft, er wirbt nach eigenen Angaben mit „26 Branchen – 100.000 Unternehmen – über eine Million Beschäftigte“, hat eine Broschüre zum Thema „Rechtsverstöße im Internet – Bedrohung für Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft“ (PDF) herausgegeben. Einzelne Verbände dürfen sich dort Sachen von der Politik wünschen. Tenor: Internet ist böse und es muss viel getan werden. Die Wunschliste ist lang und oft tauchen bekannte Forderungen auf: Eine Netzzensur-Infrastruktur zum Sperren von Webseiten wird z.B. von ECPAT Deutschland e.V. und dem Bundesverband Automatenunternehmer e.V. gefordert. Internet wegnehmen bei wiederholten Urheberrechtsverstössen fordert u.a. der Börsenverein des Deutschen Buchhandels.

Mag sein, dass mir beim überfliegen etwas entgangen ist, aber die Broschüre thematisiert nur die Risiken und keinerlei Chancen. Willkommen in der Angst-Gesellschaft.

Der beste Satz kommt aber vom Gesamtverband Deutscher Musikfachgeschäfte e. V. (GDM):

Die große Zeit des Tonträgerhandels ist wegen der Rechtsverstöße im Internet jedoch vorbei. Dies zu leugnen würde bedeuten, die Realität zu verdrängen.

Ja, ne klar. Rechtsverstösse sind Schuld an der Digitalisierung. Darauf muss man 2010 erstmal kommen!

Update: Danke an @scanlines für die schöne Visualisierung des Inhaltsverzeichnis:

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

25 Ergänzungen

  1. „Die Chancen“ müssten aber auch für den einfachen Bürger verständlich dargestellt werden.

    Was sind denn die Chancen?

    Gegen Angst- und Panikmache braucht es eine genauso starke Gegenkampagnie mit den selben medialen Mitteln.
    Anders bleibt diese Botschaft sonst immer nur bei denen, die bereits eh bescheid wissen: im Internet auf Seiten wie Netzpolitik.

  2. Bitte schränkt dieses Teufelswerk von Buchdruck ein, denn was sollen die ganzen Minnesänger, Troubadoure und Hofnarren in Zukunft machen?!?

  3. Es scheint wesentlich einfacher in .de zu sein, mit Ängsten politische Forderungen an den Wahlmann bringen zu können, als mit Visionen.

    Ich hoffe, diese Schlechtwetterfront löst sich alsbald auf und lässt Platz für positivere Gedankenflüsse.

    Ist ja auch ein Irrwitz, inwieweit alles reguliert werden soll – die Energie, die dort hinein fließt, könnte viel besser zur Zukunftsgestaltung und weniger zur Gegenwartsverwaltung genutzt werden.

  4. Wann hört diese Diskussion endlich auf? Schon 2002 hat die mehrfach mit dem Grammy ausgezeichnete Musikerin Janis Ian alle notwendigen Argumente gebracht, warum die Plattenindustrie sich ihr eigenes Grab schaufeln wird – zum Schaden der Künstler (http://www.janisian.com/article-internet_debacle.html). Einfach mal nachlesen (gibt auch eine Übersetzung: http://www.dingo.saar.de/Internet_Debakel/). In der Rückschau von acht Jahren Entwicklung war die gute Janis Ian geradezu prophetisch.

  5. Hat schon jemand nachgeschaut, ob in der Broschüre auch die Dampfmaschinenbauer und Hersteller von Telegrafenmasten das Verbot von Windkraftanlagen und Telefonen fordern?

  6. Haha, Bedrohung für KULTUR? Das sicher nicht; wie immer in dieser Debatte wird Kultur mit Medienindustrie gleichgesetzt – das ist aber Blödsinn und verschleiert nebenher auch die wirklichen Probleme und Intentionen in dieser Debatte, denn nicht Kultur „als solche“ ist hier bedroht, sondern die Einnahmen der Medienindustrie. Der Begriff Kultur wird in dieser Debatte gezielt als Schlagwort gebraucht, um, ähnlich in der Diskussion um „Leitkultur“ und „Überfremdung“ Ängste zu schüren.

    Ausführungen warum es hierbei aber nicht um Kultur geht, finden sich hier:
    http://naturgetr.eu/230/kulturflatrate-oder-angebliche-kultur-als-konsumobjekt/
    http://naturgetr.eu/271/neues-vom-missverstandnis-kulturflatrate/

  7. Erinnert sich jemand von den älteren noch an die Dikussion aus der vor-internet-zeit, als es hieß, das leerkasetten die Musikindustrie vernichten würden?

    Ich fühle mich gerade zuückversetzt in diese Zeit.

    Was mich ärgert ist di Tatsache, das ich als Kunde verschaukelt werde. Von Rechteinhabern, von Händlern und von Lobbyisten.

    Nur als Beispiel: ich besitze einen Ebookreader. Ich lese gern englische Bücher. Kann ich englische Ebooks kaufen? NEIN.
    Kein Shop aus dem Ausland darf oder will an mich verkaufen, in deutschen Shops erhalte ich die Bücher nicht, die ich lesen möchte.

    Ich will kein genöhle von denen mehr hören, hier ist eine willige Kundin, die wirklich Geld ausgeben möchte und nicht darf.

    Sollen die sich ihre Krokodilstränen hinstecken, wo es richtig wehtut.

    Nimue
    Ü*die 3 Monate lang versucht hat, für Content zu bezahlen*

      1. @17/Sonour
        Nimue hat erwähnt, dass sie einen eBook-Reader besitzt, sucht also nach eBooks.
        Da ich mit meinem Amazon Kindle 2 in der selben Situation bin kann ich das absolut nachvollziehen.
        Eine Kindle-exklusive Kurzgeschichte von Stephen King („UR“) war erst nach mehreren Monaten in Europa erhältlich, sein aktuelles Buch ist auch erst seit kurzem erhältlich, den Büchern von Douglas Adams gehts ebenso.
        Manche Bücher sind noch gar nicht aus Europa kaufbar und andere existieren gar nicht als eBook, für gar kein Land („Jurassic Park“).

        Um einen Amazon Kindle 2 sinnvoll nutzen zu können muss man sich eigentlich illegalerweise (zumindest den AGB widersprechend) als Europäer einen US-Account einrichten um Zugriff auf alle Bücher zu haben – aber wenn man eh schon im halblegalen Bereich ist, erscheint der Schritt zu illegalen Kopien gleich sehr viel kleiner.

        Das ist leider ein Problem von sämtlichen elektronischen Vertriebswegen, während ein Buch, Film oder Computerspiel von einem amerikanischen Versandhändler ohne rechtliche Probleme in der ganzen Welt verschickt werden kann, werden bei E-Medien leider lizenzrechtliche Dinge ins Spiel kommen – und da Vertriebe meistens nicht global agieren, sondern jede Region ihr eigenes Süppchen kocht und auch eigene Lizenznehmer hat ist es meist unmöglich aus Deutschland auf sauberem Weg ein E-Medium/Computerspiel aus den USA zu kaufen und zu laden.

  8. Ich befürchte, dass unsere greisen Berufspolitiker für derlei Interessen, die durch Lobbyisten im Hinterzimmer an sie herangetragen werden, durchaus empfänglich sind, da damit eigene latente Ängste bedient werden.

  9. ich kaufe schon lange keine Musik mehr, in welcher Form auch immer – selbstverständlich lade ich auch keine Musik illegal runter. Ich behalte mein Geld – und aus. Lieber fress ich mir einen dicken Bauch an.

  10. oha, die ECPAT greift da aber ziemlich tief in die Mottenkiste bereits umfangreich widerlegter Argumente aus der Zensursula-Debatte (S. 26 im pdf).

    Angefangen vom

    „globalen äußerst profitablen Geschäft mit weltweit mehreren Milliarden Euro Umsatz pro Jahr“

    bis hin zur „Anfixtheorie“:

    „Oftmals handelt es sich dabei um Wiederholungstäter, die immer brutalere Gewaltbilder benötigen, um sexuelle Befriedigung zu erhalten.“

    Und dann gibt es obendrein auch noch völlig unbrauchbare, aussagelose Statistiken:

    „Nach einer deutschen Studie gaben ein Viertel der 10- bis 19-Jährigen an, beim Chatten unaufgefordert mit den sexuellen Erfahrungen anderer konfrontiert worden zu sein, nahezu fünf Prozent bekamen unaufgefordert Pornofilme zugesandt und acht Prozent wurden zu sexuellen Handlungen vor der Webcam aufgefordert.“

    Vergessen wir nicht, daß man mit 14 in Deutschland bereits „sexuelle Erfahrungen“ sammeln darf, und daß die Altersgruppierung „10 bis 19“ zumindest rein rechnerisch zu einem Fünftel Erwachsene, d.h. 18- und 19jährige enthält, die eh nicht mehr unter irgendwelchen Jugendschutz fallen, in keinem Fall jedoch mehr unter „sexuellen Mißbrauch Jugendlicher“. Ebenfalls darf man ab dem 18. Geburtstag sowohl Pornos in jeglicher Form am Kiosk kaufen als auch in Hardcore-Filmen mitspielen, was das „Pornofilm-Zusende“- und „Webcam-Argument“ ebenfalls zumindest sehr stark relativiert.

    Aber der größte Knaller ist dies hier:

    „In diesem Zusammenhang ist auch ein weiteres Phänomen zukünftig stärker zu beleuchten: die sexuellen Handlungen unter Teenagern, die sie über soziale Plattformen oder übers Handy verbreiten. Jugendliche werden dadurch auch vermehrt selbst zu Tätern.“

    Nun, liebe ECPAT, könnte dies vielleicht daran liegen, daß Jugendliche durch die von euch angeregten Gesetzesverschärfungen überhaupt erst zu „Tätern“ gemacht wurden? Vor der Gesetzesnovelle von 2008 konnten sich Jugendliche bei soetwas nämlich überhaupt nicht strafbar machen. Das ist in etwa so, als wenn ich auf jemanden eindresche und mich dann wundere daß er blaue Flecken bekommt.

    Und wieder einmal stellt sich die Frage: Wer schützt Jugendliche eigentlich vor den Kinderschützern?

  11. Die Broschüre ist schon ein paar Monate alt. Durch Liegenlassen wurde sie nicht besser.

    Schön, dass jetzt die Empörungswelle startet.

  12. Was mich am offensichtlichsten stört ist zum Einen:
    Woher sollen die lächerlichen 5 % Marktanteil der legalen Downloads kommen? Laut Bundesverband der Musikindustrie liegen diese doch bereits bei 25 %?
    http://www.musikindustrie.de/aktuell_einzel/back/84/news/weltweiter-umsatz-mit-digitaler-musik-uebersteigt-die-25-grenze-ueber-11-millionen-titel-auf-knapp/

    Zum Anderen: Obwohl die Summe der Raubmordkopien gesamt (Tauschbörsen + Rohlinge) laut dem Baumschulverband seit 2003 fast kontinuierlich zurück geht, hat sich der klassische Markt mit Tonträgern nicht ein Stück erholt. Kausalität? Zusammenhänge?
    Und viele andere Aussagen werden nicht einmal ansatzweise mit Quellen belegt, sondern liebevoll mit „kann dennoch nicht bezweifelt werden, dass“ als unbedingt wahr eingestuft.
    So ein Werk würde ich jedemn Erstsemester um die Ohren werfen.

  13. Wir sind auf dem Weg in die Angst-\Kultur\, zunächst mal wird alles Neue auf problematische Ecken, negative Auswirkungen und vor allem Nachteile für bestehende Geschäftsmodelle untersucht. Ich bin auch gegen \alles ist toll\, aber etwas differenzierter sollte man sich schon auch mit den Chancen und Möglichkeiten des Internets beschäftigen.
    Das kommt mir vor wie der vergebliche Versuch, den Wind aufzuhalten, weil der auch Schäden anrichten kann.
    Die Art der Beschäftigung wichtiger Vertreter dieses Landes (Politik und Wirtschaft) mit dem Thema läßt mich schaudern und nichts Gutes für die Zukunft hoffen….

  14. Das Beste von allem ist doch immer: Jemandem das Internet wegnehmen. Ist das nicht erst letztes (oder vorletztes) Jahr in Frankreich schnell und schmählich gescheitert? Wie sollte das praktisch funktionieren? Einmal ganz abgesehen davon, daß das Ganze vmtl. mindestens verfassungswidrig wäre, begegnet man doch selten einem Gedanken von solcher reinen Infantilität.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.