Einigung beim Telekom-Paket

In der vergangenen Nacht haben sich Vertreter von Ministerrat und Europäischem Parlament auf einen Kompromisstext für den umstrittenen Zusatz 138 geeignet, der den Richtervorbehalt bei Netzsperren regelt. Bis zuletzt ging es um die Frage, ob durch die endgültige Formulierung eine Three-Strikes-Regelung erlaubt würde oder nicht. Dieser Zusatz wird nun als Punkt 3a in Artikel 1 eingefügt:

3a. Measures taken by Member States regarding end-users‘ access to or use of services and applications through electronic communications networks shall respect the fundamental rights and freedoms of natural persons, as guaranteed by the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms and general principles of Community law.

Any of these measures regarding end-users‘ access to or use of service and applications through electronic communications networks liable to restrict those fundamental rights or freedoms may only be imposed if they are appropriate, proportionate and necessary within a democratic society, and their implementation shall be subject to adequate procedural safeguards in conformity with the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms and with general principles of Community law, including effective judicial protection and due process. Accordingly, these measures may only be taken with due respect for the principle of presumption of innocence and the right to privacy. A prior fair and impartial procedure shall be guaranteed, including the right to be heard of the person or persons concerned subject to the need for appropriate conditions and procedural arrangements in duly substantiated cases of urgency in conformity with European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms. The right to an effective and timely judicial review shall be guaranteed.

Die Reaktionen von Seiten der Netzsperren-Gegner sind durchaus divers. Christian Engström, der für die schwedischen Piraten im Parlament sitzt, freute sich über den „Schritt in die richtige Richtung“:

It is not everything that we would have wanted in the best of worlds, and this is not the end of the fight for a free and open internet. But it is a much bigger step in the right direction than I would have dared to hope for.

Die britische Politologin Monica Horten dagegen kommentierte die Einigung äußerst kritisch. Sie kritisiert den gegenüber dem ursprünglichen Zusatz 138 aufgeweichten Richtervorbehalt. Anstelle dessen ist die Formulierung „a prior, fair and impartial procedure“ gerückt.

Die Inklusion des Wortes „prior“ sei zwar ein kleiner Sieg für die Vertreter des Parlaments und signalisiere, dass es vor der Abschaltung des Internetzugangs ein rechtliches Vorgehen geben müsse. Das die Unschuldsvermutung respektiert werden müsse sollte heißen, dass Anschuldigungen der Rechteinhaber allein nicht ausreichen dürften. Allerdings sei fraglich, wie weit der Schutz der Nutzer durch die Regelung gehe:

The agreement appears to provide for some kind of safeguard against overly stringent measures imposed by governments. What’s unclear is how much protection they would provide against government driven „voluntary“ agreements, or against commercial operators imposing Internet blocks at their own discretion. Such blocks are permitted in the other part of the Package, known as the Harbour report.

Die gleiche Problematik sieht aus La Quadrature du Net. Die Organisation spricht in ihrer Mitteilung von „Schlupflöchern und Unklarheiten“, die im aktuellen Wortlaut enthalten sind. La Quadrature kritisiert auch, dass die in der Regelung enthaltenen Beschränkungen sich nur auf staatliche Instanzen bezögen und keine Vereinbarungen zwischen Providern und Rechteinhabern verhinderten. Wie die Formulierungen nun tatsächlich auszulegen sind, müssen wohl die europäischen Gerichte entscheiden, schreibt Horten:

A legal challenge, by someone with deep pockets, will now be needed to firmly establish the rights of Internet users.

Bis dahin wird noch das Europäische Parlament auf seiner Sitzung vom 23. bis 26. November in dritter Lesung über das Telekom-Paket abstimmen. Die Parlamentarier können die Rahmenrichtlinie nur als Ganzes annehmen oder ablehnen. Sollte das Telekom-Paket dort oder im Ministerrat durchfallen, wäre der Vermittlungsprozess gescheitert und die EU-Kommission müsste einen neuen Gesetzesvorschlag vorlegen. Dieser Fall ist allerdings sehr unwahrscheinlich.

futurezone hat ebenfalls ausführlich über die Einigung berichtet.

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10 Ergänzungen

  1. Was für ein enttäuschender Pirat. Kaum im EU-Parlament, werden wachsweiche, zweifelhafte, bürgerrechtsfeindliche Entscheidungen als Erfolg umgemünzt. Schon ganz dem EU-Establishment angepaßt. Da kann ich nur den Kopf schütteln.

  2. Ich kann es nicht verstehen, wie man es als Sieg oder schritt in die richtige Richtung betrachten kann, dass rechtsstaatliche Grundsätze geachtet werden. Alles andere wäre vollkommen inakzeptabel und verfassungsfeindlich.

  3. Ich finde es auch alles andere als in Ordnung. Es ist eine Unverschämtheit sondergleichen das solche Politiker(innen) sich noch Demokraten nennen dürfen.

    Die Unschuldsvermutung, ein Richtervorbehalt, ein faires Gerichtsverfahren <<< SOWAS MUSS SELBSTVERSTÄNDLICH SEIN! Alleine die Tatsache das darüber diskutiert wurde zeigt von mangelndem Demokratieverständnis der Politikerinnen und Politiker.

    Wie heisst es so schön: Geld regiert die Welt…

  4. Die Content-Industrie möchte über ein Internationales Abkommen Netzsperren bei Urheberrechtsverstößen verbindleich machen.

    http://www.zeit.de/digital/mobil/2009-11/acta-verhandlungen-zugangssperrenüber
    „Als Blaupause für die neuen Anti-Piraterie-Regeln kann das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Süd-Korea angesehen werden. Darin steht, dass Internet Service Provider nur dann von einer Haftung für illegale Inhalte befreit sind, wenn sie sich bereit erklären, Internetzugänge auf Gerichtsbeschluss hin zu schließen.“

    Da immer wieder mal das so genannte Providerprivileg, wonach Access-Provider (nicht Host-Provider!) für die von ihnen übermittelten Daten nicht verantwortlich und nicht haftbar sind, in Zweifel gezogen und als stehlen aus der Verantwortung bezeichnet wird, nur einmal zur Klarstellung:

    Das Provider-Privileg ist kein Anachronismus oder ungerechtfertigte Haftungsbefreiung für übermittelte elektronischer Daten, mit dem sich ISPs durch eigene Lobby und die Lobby irgendwelcher Internetpiraten illegitime Vorteile schaffen (und sich in angeblich verwerflicher Weise aus der Verantwortung stehlen), sondern eine Selbstverständlichkeit, an der zu Sägen das mangelnde Begreifen und Durchblicken in Sachen Internet in weiten Teilen der Bevölkerung ausnutzt. Man stelle sich vor, ein Postunternehmen könnte für den Inhalt der von ihnen weitergeleiteten Briefe verantwortlich gemacht werden. Jemand fühlt sich durch einen mit der Post versendeten Brief beleidigt oder durch solche Briefe diffamiert – und verklagt dann die Post und will diese zur Verantwortung ziehen und auf Unterlassung in Anspruch nehmen. Wahrscheinlich würde, wenn das möglich wäre, ein Postunternehmen in den meisten fällen sogar schon bei einer Abmahnung einknicken, weil ein Unternehmen (verständlicher weise!) kein Interesse daran hat ein Prozessrisiko für die Rechte eines dritten in Kauf zunehmen, der vielleicht wirklich gegen das Gesetz verstoßen hat, was vom Unternehmen in aller Regel nicht mit ausreichender Sicherheit festzustellen ist. Die interessierten Kreise würden dies natürlich sofort Ausnutzen, um an demjenigen, dem man Illegales vorwürft, vorbei seine Interessen durchsetzen zu können. Der dadurch faktisch in seinen Rechten Beschnittene (verklagt wurde ja der Übermittlungsdienstleister ) wird eventuell erst einmal gar nichts davon mitbekommen und wenn doch hat er zumindest nicht die Möglichkeit sich gerichtlich gegen die Vorwürfe und geforderten Einschränkungen (seiner Äußerungsfreiheit zum Beispiel) zu wehren, denn gegen ihn wurde ja kein gerichtlicher Beschluss erwirkt (sondern Formal gegen den Übermittlungsdienstleister) , der ihn einschränkt (gebunden ist ja ein Dritter…)!

    Außerdem würde die Erbringung der genannten Dienstleistungen unnötig unzumutbar und erschwert werden, die die Dienste zurecht zur Grundversorgung gezählt werden und dabei die Nichtverantwortlichkeit des Vermittlers eigentlich schon daraus jedem einleuchten müsste, dass durch das Post- und Telekommunikationsgeheimnis der Vermittlungsdienstleister grundsätzlich gar nicht wissen darf was er da Übermittelt und dies sogar ein Stützpfeiler unserer Demokratie ist.

    PS: Ist hier von Providern die Rede, sind natürlich nur die Access-Provider gemeint, die Daten lediglich weiter vermitteln, und nicht die Host-Provider, die Daten speichern, bereitstellen und auf Anfrage versenden.

  5. Wann gilt das 3 strike Gesetz für Telefon? Wenn man ein Telefon benutzt um Straftaten zu begünstigen oder gar Straftaten darüber anzuordnen, wird dann der Telefonanschluß gekappt nach einer verlorenen Verhandlung?
    Immer mehr amtliche (staatliche) Belange werden übers Internet verlangt (Elster etc.) und sind für Betriebe fast schon verbindlich. Wenn nun ein 1 Mann Betrieb seinen Zugang 3 mal in der Weise nutzt illegal Musik zu ziehen, muss er dann sein Geschäft aufgeben weil er keinen Zugang mehr hat?
    Wann wird der Telefonanschluß endlich gekappt von den Gammelfleischfirmen, die so ihr stinkendes Gut an die Bevölkerung „verfüttern“?
    Achsooooo … wer illegal Software oder Musik herunterlädt hat keine Grundrechte mehr.
    Wer das Telefon oder Briefe oder Fax nutzt um Straftaten zu begehen, darf dies weiterhin ungehindert tun.
    Bitte … bitte schlägt mich einer … ich glaub ich erlebe gerade einen langen schlimmen Albtraum!!!

    1. @TrauteW: Ja, das INDICT-Projekt wird leider noch viel zu wenig beachtet. Hier könnte man vielleicht schon mal handeln, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.

  6. Nein, wenn 3x über den Anschluss Musik gezogen wurde.

    Das heisst beim Nachbarn ins WLAN einbrechen, schön unauffällig neueste Musikstücke runterladen und weg ist er.

    Immerhin ist das Runterladen einer CD so schlimm wie das massenhafte Ausspioneren von Kunden und Mitarbeitern (Beispiel Bahn).

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.