5+1 vor elf (EU-Agenda, JMStV, romantische Verklärung, böses Netz)

Auf die mit Spannung erwartete „Digitale Agenda“ der EU-Kommission hatte Markus ja bereits kurz hingewiesen. Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen hieß es im Vorfeld, dass Cecilia Malmström auf einen unmissverständlichen Absatz zu Internet-Sperren gedrängt hätte. Den sucht man in der finalen Agenda vergeblich. Allenfalls aus der in der englischen Fassung (PDF) auf Seite 16 zu findenden Formulierung …

[…] For instance, to tackle sexual exploitation and child pornography, alert platforms can be put in place at national and EU levels, alongside measures to remove and prevent viewing of harmful content. […]

… könnte man eine Unterstützung für Sperren auf Zugangsebene herauslesen. Liest man die Passage im Kontext, hat die EU-Kommission hier aber wohl vor allem nutzerautonome Filter im Hinterkopf.  Für Censilia sicher ein Rückschlag, auch wenn sie sich die Kommission mit ihrer Formulierung letztendlich alle Optionen offen hält.

Unterstützung erhält die EU-Kommissarin derweil im Deutschen Bundestag. Eine Rüge, mit der die Grünen Internetsperren auf EU-Ebene zumindest symbolisch als falschen Weg Kampf gegen Kinderpornographie im Netz brandmarken wollten, wurde mit Stimmen der Regierungskoalition von der Tagesordnung gestrichen. Interessant ist das insoweit, da durch die Vertagung der Debatte nun die achtwöchige Frist zur Rüge nicht eingehalten werden kann.

# Regierungsmehrheit verhindert Rüge gegen EU-Internetsperren (Golem.de)

Auch im Sächsischen Landtag gaben die Tigerenten heute den netzpolitischen Spielverderber. In zwei Anträgen der Grünen (PDF) und der Linken (PDF)  ging es gegen den JMStV-E. Beide Anträge wurden von der Regierungskoalition aus CDU und FDP abgelehnt. Zumindest in Sachsen scheint es mit der Ablehnung des JMStV-E durch CDU und FDP also nicht allzu weit herzu sein (Und ja, natürlich sind das höchst alberne parteitaktische Spielchen).

Weiter mit Recht und Gesetz! Im Blog Online.Spiele.Recht geht es um neue Informationspflichten für Dienstleister im Internet. Das ist sozusagen eine Impressumspflicht für Fortgeschrittene, die Blogger nur am Rand betrifft. Womit wir beim eigentlichen Grund für die Verlinkung wären: Ein Blog, das sich mit den rechtlichen Aspekten von Computer-Spielen beschäftigt, gehört heutzutage einfach in jede gepflegte Blogrolle.

Genau wie das Blog von RA Thomas Stadler, der sich heute unter anderem mit der polizeilichen Kriminalstatistik 2009 beschäftigt. Eben diese weist einen Rückgang der Straftaten im Bereich Kinderpornografie um 43% aus.  Wir erinnern uns, das Zugangserschwerungsgesetz wurde mit einem starken Anstieg der Kriminalitätsraten in diesem Bereich begründet.

# Neue Informationspflichten im Internet (Online.Spiele.Recht)
# Access-Blocking und die deutsche Kriminalstatistik (RA Thomas Stadler)

Als persönliches und romantisches Essay bezeichnet Martin Oetting seine Überlegungen zu Facebook. Bitte einfach emotional fallenlassen. So, und nun kommt’s: Den Delling des Tages verdiene ich mir mit der Überleitung, dass heuer auch so mancher Fußballfan etwas fallengelassen hat. Und zwar die bekannt dünne Decke der Zivilisation bei seinen Kommentaren zum Foul an Deutschlands wichtigstem Fußgelenk! Bahnhof, Kartoffelsalat, Sibieren? Keine Panik, die Süddeutsche erklärt den Zusammenhang. Delling ist übrigens ein Kumpel von Netzer.

# “Die Macht darf nicht mit Facebook sein.” (Martin Oetting)
# Revanchefoul im Internet (Sueddeutsche)

Last, but not least, möchte ich auf ein Interview bei Bild Online verweisen. Allein schon, weil wir dort erfahren, dass unsere Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner „Facebook in die Knie gezwungen hat“! Echt wahr! Steht da zumindest. Auch sonst ist das Stück wohl eher als wohlwollende Gefälligkeit zu sehen. Was auch Aigner aufzufallen scheint.

# Bild-Interview mit Ilse Aigner (Bild.de)

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8 Ergänzungen

  1. Aus Golem:

    “ Montag: „Die FDP ist dabei wieder einmal vor der Netzsperrenlobby der Union umgefallen. Ihr Wahlversprechen, Netzsperren in Deutschland zu beenden und stattdessen die betreffenden Seiten effektiv zu löschen, ist reine Makulatur, sollte sich dieser Richtlinienvorschlag der EU-Kommission durchsetzen.“

    Ein Schelm, wer sich da was anderes erwünscht hätte. Die Macht der Hintermänner.

    Damit mischen sich wieder neue Emotionen um die Enquete und deren Sinn. Denke ich mir mal.

    In Verbindung mit dem Papier, den Aktivitäten der Kinderschutzbünde in der EU, Schnellschüssen / unsauberen Recherchen in der Berichterstattung der Medien und den Angstschürereien der Behörden ist es sicherlich nicht weit hin bis zu den Netzsperren – die sicherlich nicht den KiPo Bereich erfassen sondern zunehmend den Meinungsbereich. Dazu passend der Bericht des RA zu dem Rückgang der Straftaten um 43 %.

    Wenn wir mehr und mehr alles „kinderfreundlich“ zurechtschustern, dann bitte auch kinderfreundliches Bier, Schnaps, Gewaltvideos und den Führerschein ab 6 Jahren. Plastiksitzerhöhung inklusiv. Der Rest folgt schon.

    Zuwenig Bürger interessieren sich für diese Art der Meinungsfreiheit; China hat bei uns längst begonnen. Viele merke(l)n es nicht einmal. Langsam beginne ich wirklich an meinem Enthusiasmus in Sachen Weiterentwicklung des Kommunikationssektors – länderübergreifend gesehen – zu zweifeln. Warum wollen die uns so dermassen in die Knie zwingen?

  2. Daß es kaum oder immer weniger Kinderpornografie im Web gibt, hat man doch auch schon bei der EU mitbekommen.

    Und man hat darauf reagiert, indem in Zukunft eben auch Erwachsene mit „kindlichem Aussehen“ als Kinderpornografie gelten.

    Und schwupps werden wir eine wahre Flut von Kinderpornografie im Netz haben.

    Mit dem Schutz von Kindern hat das freilich nix zu tun. Aber das war ja eh nie das Anliegen dieser Richtlinie, aller vollmundigen Beschwörungen zum Trotz.

    Man muß sich nur mal fragen, wie wir hierhin gekommen sind. Dann wird einem klar, auf was für einem absurden Weg die EU und Deutschland sind. Die sexuelle Ausbeutung von Kindern zu verhindern ist ja ein ehrbares Ziel gegen das eigentlich keiner was einzuwenden haben dürfte. Mit dem Gedanken fing ja alles an. Aber warum erklärt man dann alle unter-18jährigen zu Kindern und erklärt große Teile der Erwachsenenpornografie als latent illegal??

    Dies schützt kein einziges Kind in ganz Europa vor sexueller Ausbeutung.

  3. @Andreas: Ich glaube, man kann das mit gesellschaftlichen Pendelbewegungen erklären.

    Nachdem nach 68 alles erlaubt war und wir bis Mitte 90er mehr oder weniger im Wohlstand lebten, hoff(t)en viele, dass die Konservativen den Karren wieder aus dem Dreck bekämen. In der Gesellschaft spürt man das am Ruf nach der starken Hand (Videoüberwachung, die gesamte Terrorhysterie) und eben auch rückwärtsgewandten Moralvorstellungen.

  4. Das Aigner-Gefälligkeits-Interview ist ein weiteres Beispiel für die in den Printmedien laufende Anti-Google-Kampagne. Damit soll mittelfristig eine „denen müssen wir jetzt an den Kragen, egal wie“-Stimmung in der Bevölkerung erzeugt werden, damit man dann Dinge wie das Leistungsschutzrecht ohne größeren Widerstand durchgepaukt werden können.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.