Enquete-Kommission: „Internet und digitale Gesellschaft“

Die Unions-Fraktion plant eine Enquête-Kommission zum Thema „Internet und digitale Gesellschaft“. Wer keine Ahnung hat, was das ist, wird bei Wikipedia fündig:

Enquête-Kommissionen (von frz. enquête, „Untersuchung“) sind vom Deutschen Bundestag oder von einem Landesparlament eingesetzte überfraktionelle Arbeitsgruppen, die langfristige Fragestellungen lösen sollen, in denen unterschiedliche juristische, ökonomische, soziale oder ethische Aspekte abgewogen werden müssen. In der Enquête-Kommission soll eine gemeinsame Position erarbeitet werden. Ziel ist es, bei Problemen zu einer Lösung zu kommen, die von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung (auch von dem Teil, der sich nicht durch die jeweilige Mehrheitsfraktion vertreten fühlt) mitgetragen werden kann.

Das Papier zur Einrichtung dieser Enquete-Kommission wurde von der Unions-Fraktion beschlossen und soll nun mit dem Koalitionspartner FDP verhandelt werden. Zwei Jahre lang soll die Aktion laufen, die morgen offiziell präsentiert wird. Wie man so hört, sind die anderen Parteien / Fraktionen von dem Plan überrascht worden.

Die letzte Enquete-Kommission zum Thema Netzpolitik fand 1995 statt und trug den Namen „Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“. Man kann sich vorstellen, worüber man damals geredet hat und warum nun eine solche Kommission mehr als überfällig ist. Der positive Nebeneffekt wäre, dass man die politische Debatte rund um Netzpolitik durch die geplante zweijährige Laufzeit der Kommission mehr Aufmerksamkeit erhält.

Spannend dürfte werden, wen die Fraktionen als Experten in die Enquete-Kommission berufen werden.

Update: Ich hab mittlerweile das Papier zugeschickt bekommen, dabei aber auch zugesagt, dass ich es erst Morgen veröffentlichen werde.

Da stehen auf jeden Fall noch mehr Infos drin, wie die Zusammensetzung:

Der Enquete-Kommission gehören 13 Mitglieder des Bundestages und 13 Sachverständige an. Die Fraktion der CDU/CSU benennt 5 Mitglieder, die Fraktion der SPD 3 Mitglieder, die Fraktionen der FDP, LINKE je 2 und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Mitglied.

Konkret soll es um diese Themen gehen:

Kultur und Medien

o Stärkung der Medienverantwortung (Anbieter und Nutzer)
o Veränderungen der Produktion, Distribution und Nutzung von künstlerischen Werken
o Stärkung des Bewusstseins für den Wert geistigen Eigentums
o Maßnahmen zur digitalen Sicherung des kulturellen Erbes und seiner Nutzung
o Erhaltung und Sicherung von Medien- und Meinungsvielfalt

Wirtschaft, Umwelt

o Sicherung eines funktionsfähigen Wettbewerbs zur Vermeidung marktbeherrschender Stellungen einzelner Unternehmen
o Klima-, Umwelt- und ressourcenschonende Gestaltung der Informationstechnik (Green-IT)

Bildung und Forschung

o Förderung der Medienkompetenz, Medienerziehung in Schule, Hochschule sowie Aus- und Weiterbildung
o Internationale Zusammenarbeit in Forschung und Wissenschaft
o Strategien zur Überwindung der digitalen Spaltung (Digital Divide)
o Initiativen zum freien Zugang zu den Ergebnissen staatlich finanzierter Forschung (Open Access)
o Weiterentwicklung und Definition offener Standards und Normen

Recht und Innen

o Sicherung eines freien und ungehinderten Zugangs zum Internet für alle Nutzer und Informationsanbieter (Netzneutralität)
o Gewährleistung einer vertrauenswürdigen, leistungsfähigen und sicheren Internet-Infrastruktur (staatlicher Schutz gegen Gefahren von innen und außen)
o Bedrohungen durch Computer- und Internet-Kriminalität, -Terrorismus, -Spionage und -Sabotage
o Verbraucherschutz (Missbrauch bei Massenabmahnungen, Rechtssicherheit im elektronischen Handel)
o Durchsetzung berechtigter und Abwehr unberechtigter Ansprüche, auch im internationalen Rechtsrahmen
o Zukunft des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
o Wahrung der Persönlichkeitsrechte
o Rechtliche und technische Voraussetzungen für Datenschutz und Datensicherheit (bei privaten Unternehmen, insbesondere sozialen Netzwerken; Cyber-Mobbing, datenschutzfreundliche Technologien)
o Realität und Umsetzung des Jugendschutzes (z.B. unterschiedliche internationale Rechtsnormen)
o Konsequenzen aus der Konvergenz von Medien- und Telekommunikationsanbietern
o Weiterentwicklung dieser Rechtsgebiete, auch in der Wechselwirkung von Bundes- und Landesrecht und unter Berücksichtigung des europäischen Rechtsrahmens

Gesellschaft und Demokratie

o Weiterentwicklung der staatlichen Dienstleistungen (eGovernment)
o Strategien für einen freien Zugang zu staatlichen Informationen (Open Data)
o Soziologische Auswirkungen (Digital Immigrants und Digital Natives)
o Möglichkeiten für neue Formen der Bürgerbeteiligung (E-Petitionen, Kommunalpolitik)

Als eine Grundlage der Bestandsaufnahme kann der Medien- und
Kommunikationsbericht der Bundesregierung dienen.

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39 Ergänzungen

  1. Die Ignoranzpartei CDU hat wohl Angst, total den Anschluß zu verlieren. Sogar Merkel hat ja zugegeben, sie wollen von der Piratenpartei lernen. Nachdem sie jahrelang bewiesen haben, dass sie überhaupt keine Ahnung haben, jüngst durch Internetsperren und 3-Strikes-Forderung im Entwurf ihres Wahlprogramms, wollen sie sich nun also zumindest von anderen Parteien etwas abschauen, um auch als alte-Leute-Partei eines Tages wieder junge Leute einlullen zu können.

  2. Sehe ich auch so. Allerdings glaube ich kaum, dass bei der Union ein Lerneffekt eingetreten ist. Ich kenne Leute aus der Union aus meinem Bekanntenkreis, auch Leute auf bzw. an Entscheider-Positionen. Und die haben höchstens Angst um Wählerstimmen. Ansonsten ist es denen egal, unsinnige Politik zu machen, bzw. begreifen sie es einfach nicht, weil sie nicht offen sind für neues wie das seit 20 Jahren „neue“ Medium World Wide Web.

    Solange die Union nicht aktiv ein Zensursula-Aufhebungsgesetz verabschiedet glaube ich denen ohnehin kein Wort.

  3. Wieso hab ich da wieder nur Worst-case-Szenarien vor dem geistige Auge?

    “Stärkung der Medienverantwortung”: Internet mit Sendezeitbeschränkung und Alterskennzeichnung, siehe http://blog.odem.org/2010/01/sendezeitbegrenzung.html

    “Erhaltung und Sicherung von Medien- und Meinungsvielfalt”: google-Steuer und Schutz der deutschen Qualitätsjournalismus-Verlage.

    “Förderung der Medienkompetenz”: in Kooperation mit den Partnern aus der Wirtschaft, namentlich M$, …

    “Gewährleistung einer vertrauenswürdigen und sicheren Internet-Infrastruktur”: de-Mail, eAusweis für auth, ansonsten Sperren für böse Inhalte aller Art, siehe auch erster Punkt

    Das wäre wohl nahe dran am worst case.

  4. Hmmm … klingt gut, aber wirklicher Optimismus will angesichts der Urheber da nicht aufkommen. Ich fürchte da kommt ein Minimalkompromiss raus, der dann als großes Zugeständnis an die Freiheitsrechte verkauft wird … und auf den man sich bei der Einführung der nächsten Überwachungsgesetze berufen kann.
    „Schaut mal, wir sind doch auf die linken Spinner aus dem Internet zugegangen, wir sind ja auch nicht von gestern, aber jetzt wirds Zeit für mehr Sicherheit.“

  5. Ich bin mal gespannt, wen die Bundesregierung da als Sachverständige einladen. Lobbyisten stehen sicher schon alle Schlange.

    1. @Balkonschlaefer: Die Bundesregierung wird da niemanden einladen. Wie ich schon im Text geschrieben habe, ist dies Eine Kommission des Bundestages. Und diese ernennt Sachverständige, wobei diese von den Fraktionen (nach einem Schlüssel) bestimmt werden.

  6. Also wenn ich die Themen so lese, dann wissen unsere Politiker ziemlich genau, was wichtig ist und was uns(darf man das so sagen?) bewegt. Wieso aber werden dann trotzdem immer so unselige Gesetze beschlossen? Aktuell die Arbeitsvorlage zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (von wem stammt die eigentlich?).

    Ich halte diese Enquete-Kommission für eine Nebelkerze, mir fehlt da mittlerweile jegliches Vertrauen.

  7. carta hat einen auszug veröffentlicht. wenn ich lese,

    Die Menschen benötigen heute neue Kenntnisse und Fähigkeiten. Dazu zählen beispielsweise die Auswahl, die Einordnung und die Bewertung der nahezu unbegrenzt zur Verfügung stehenden Informationen.

    drängt sich mir nach gemachten erfahrungen der verdacht auf, daß man sich auch schon für diese deutungshoheit zuständige vorstellen kann. ich will ja nicht unken…

  8. Bin ich der einzige, den es überrascht, dass die Union von selber (?!)

    „Sicherung eines freien und ungehinderten Zugangs zum Internet für alle Nutzer und Informationsanbieter (Netzneutralität)“

    als Thema vorschlägt, das Wort „Netzneutralität“ also im Ernst kennt?

    Ich bin positiv überrascht, denn mit der genannten Definition klingt es, als ob es denen nur darum ginge, „wie“ sie denn die Netzneutralität erreichen. Aber ich träume wahrscheinlich ;-)

    Wie gesagt positiv überrascht, mehr aber auch nicht, denn von folgefreien Beschlüssen über gute Beschlüsse hin zu Zensursula II ist ja alles möglich.

  9. Sehr schön. Da ist es bestimmt erlaubt, beizutragen. Wenn eine Enquete-Kommission etwas macht, dann aber auch richtig.

    \Weiterentwicklung und Definition offener Standards und Normen\

    —> Ich bin begeistert. Vor zwei-drei Jahren war das schon ein Thema beim Bundestag, der zum Handeln verleitete. Hier sollte Deutschland seine ordnungsliberalen Wurzeln entdecken, denn wir haben in diesem Bereich der Welt eine Lösung anzubieten. Meinem Eindruck von damals nach haben alle Fraktionen ausgezeichnete Fachleute, die allerdings nicht immer das erforderliche Gewicht haben.

    Alles sehr gute und sehr wichtige Themen.

    \Digital Immigrants und Digital Natives\ finde ich aber etwas obskur gedacht.

  10. eine bunte Do-to-Liste, bei einigen Punkten kann man deutlich die hinter den Konservativen stehenden Lobbygruppen durchschimmern sehen, aber sei’s drum. Erstmal.

    Ich denke, dass wird die erste Enquete-Kommission, deren Arbeit im Netz gespiegelt von vielen Tausend Menschen beobachtet und, vor allen Dingen, ergänzt werden wird.

    Eine Herausforderung für „the wisdom of the crowd“ und ein Prüfstein für die digitale Zukunftsfähigkeit dieser nationalen Entität Deutschland.

    Ich werde mir die Zukunft der digitalen Gesellschaft sicher nicht von 26 Menschen verbindlich analysieren lassen. Ein offenes Forum, das ernsthaft in den Prozess eingebunden wird, ist die erste Aufgabe dieses Gremiums, an der ich es messen werde.

  11. lol. Mehr kann ich dazu nicht sagen^^

    Purer Populismus.

    Als ob die Piratenpartei nur gewählt wird, weil se sich mit dem Internet auskennt…

    tuuuut: an CDU: es kommt nicht nur drauf an, sich mit dem Internet auszukennen, sondern auch WIE man damit umgeht!

    Dieser Versuch der Internetkompetenz –
    Das wird eher ein Eigentor, das prophezeie ich mit 80%iger Sicherheit.

    Am Ende gehen noch mehr Leute zur PP, weil sie sehen, dass deren Themen die ganzen etablierten zum wanken gebracht haben wie damals die Grünen.

    80% Eigentor.

  12. Der grüne Experte wird Markus sein?

    @Toljok (#5)

    ob die SPD herrn lobo in die Kommission beruft?^^

    Bestimmt. Bei der teuren deutschen Steinkohle muss man zusehen, wie man die Hütte warm kriegt. ;)

  13. Wär ja schön, wenn man das ganze auch direkt mal transparent gestalten würde, also mit einem Blog, Live-Stream und der Möglichkeit Kommentare zu hinterlassen.

    Aber das wird dann wahrscheinlich erst mit der nächsten Kommission in 15 Jahren was.

  14. CDU – Internet – Digitale Gesellschaft ?

    Da haben wohl welche ganz schön viel Angst, demnächst noch mehr Wählerstimmen zu verlieren…

    Peinlich, das der Bock sich jetzt hier selbst zum Gärtner machen will!

  15. welchen Sinn macht es heute noch, privaten Investoren das Gestalten und Führen von Multimedia Einrichtungen zu verbieten (§ 33i GewO),die u.a. auch das Computerspielen ohne Gewinnmöglichkeit betreiben wollen. Nur in Deutschland ist es dem privaten Unternehmer (als einzige Gruppe) nicht gestattet, sich an diesem Markt zu beteiligen. Das gilt selbst dann, wenn er per elektronischem Zwangssystem einen 100%igen Jugendschutz garantiert. Sowohl Jugendliche als auch verantwortungsvolle Unternehmer werden so an der Teilname der Medienentwicklung diskriminiert.

  16. Hi,

    nun ja, zumindest arbeitet die Enquete-Kommission nun schon und sie haben sich in drei Arbeitsgruppen aufgeteilt.

    Aus den ursprünglich geplanten 26 Mitlieder sind nun doch 34 geworden. Man kann nur hoffen, dass sie sich zumindest kritisch mit allen Themenbereichen auseinandersetzen und für Klarheit im Internet sorgen.

    Den eigenen Internetauftritt der Enquete-Kommission findet man hier: http://www.bundestag.de/internetenquete/

    und weitere Infos findet man hier:
    http://www.enquete-kommission.de/enquete-internet-digitale-gesellschaft.htm

    Gruß

    Marc

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