Rede von Monty Cantsin auf der Freiheit statt Angst

Die Rede von Monty Cantsin von der Hedonistischen Internationale war der inhaltliche Höhepunkt auf der heutigen Freiheit statt Angst – Demonstration. Wir spiegeln hier mal die Rede. Er hat einen guten Überblick über die aktuelle Netzpolitik-Situation in Deutschland gegeben.

Rede „Freiheit statt Angst“ 11.09.2010 Hedonistische Internationale

Liebe Freundinnen und Freunde der Freiheit! Es lohnt sich immer noch, zur „Freiheit statt Angst“­Demo auf die Straße zu gehen.
Es lohnt sich, weil es immer noch genau so viele gute Gründe gibt. Es lohnt sich, weil immer noch genauso viele Projekte gegen die Freiheit geplant sind, wie vor einem Jahr. Und es lohnt sich, weil wir seit dem letzten September gehörig eingelullt werden. Auf einmal werden wir zu netzpolitischen Dialogen eingeladen. Wir sitzen in der Enquete­ Kommission. Wir können Dinge sagen, die dann auch mal in der Tagesschau laufen. Und der Innenminister mit der ausgestreckten Hand hat jetzt seinen Internetführerschein gemacht – und kann jetzt Blog und Geotag richtig aussprechen.

Das ist einerseits komfortabel, weil wir jetzt unsere Vorschläge auf den Tisch legen können. Weil wir gehört werden. Weil jetzt auf einmal alle von Netzpolitik reden.

Ich will hier nicht die gute Arbeit unserer Leute in den Gremien kritisieren, aber… … wir müssen immer schauen, was hinten bei raus kommt.

Und ich habe das Gefühl, dass wir ein bisschen verarscht werden. Es wird geredet und gedatenschützt, wohin das Auge blickt.
Politiker der CDU/CSU spielen sich unverfroren als Robin­Hoods des Datenschutzes auf. Wenn es um Facebook und Google Streetview geht, dann sind sie ganz groß dabei. Dann machen sie Dampf, die vermeintlichen Kämpferinnen und Regierungsaktivisten für den Datenschutz des kleinen Mannes. Das ist nichts anderes als Datenschutzgreenwashing, um von den echten Problemen abzulenken.
Die gleichen Politiker haben mit wehenden Fahnen für Vorratsdatenspeicherung und Netzsperren gestimmt, sie stehen für Law & Order, für Überwachung aller Art, für biometrische Pässe, für Arbeitnehmerdatenbanken, für neue Volkszählungen. Sie wollen Datenbanken zusammenführen, uns durchleuchten. Sie wollen sogar mit dem INDECT­ Projekt präventiv erkennen, ob wir irgendwann mal straffällig, auffällig oder unangenehm werden könnten. Der präventive Polizeistatt ist das Modell, das diese Politiker anstreben.
Eine Welt ohne Privatsphäre, ohne Datenschutz und ohne Freiheitsrechte. Auf solche Datenschützer können wir verzichten.
Während der Innenminister seine Thesen säuselt und Frau Aigner ihrem Pseudo­ Aktionismus frönt, werden die Projekte der Sicherheitsfreaks – und die sitzen nicht nur im BKA, dem Bund deutscher Kriminalbeamter und den Polizeigewerkschaften, sondern auch in der Regierung und den Ministerien ­ wie eh und je vorangetrieben. Die gute alte Salamitaktik gibt es immer noch. Sie sieht nur ein bisschen mehr nach Feinkost statt nach Billigware aus.

Denn die Bundesregierung ist gut von PR­Agenturen beraten worden. Sie haben aus Stasi 2.0 und Zensursula gelernt. Sie haben gesehen, dass wir hier mit unseren Demos, Aktionen, Petitionen und Blogs ganz schön Alarm machen können. Sie haben gesehen, dass wir Menschen mit Argumenten überzeugen können. Sie haben gesehen, dass wir Politik machen können. Und, dass wir Politik machen. Das gefällt ihnen nicht.

Und deswegen wird jetzt ein milderer Ton angeschlagen. Da wird der Nacktscanner zum Körperscanner und der Innenminister zum Freund des demokratischen Dialogs. Das ist gefährlich, weil mit dieser Strategie für viele Bürgerinnen und Bürger nicht mehr deutlich wird, in welche Richtung sich dieser Staat in Sachen Bürgerrechten entwickelt.

Da wünscht man sich ja schon fast den alten Schäuble wieder her, weil er mit seiner unsäglichen Haudrauf­-Politik ein klares Feindbild abgegeben hat und nicht die von PR­ Beratern weichgespülte Rhetorik dieser neuen Regierung repräsentiert.
Doch auch ein de Maiziere setzt die Politik eines Schäubles fort. Innenminister bleibt eben Innenminister. Das haben wir mittlerweile gelernt.

De Maiziere hat gerade gefordert, dass BKA und Verfassungsschutz noch enger zusammenarbeiten sollen. Dieser „sicherheitspolitische Dialog“ samt Personalrotation widerspricht dem Trennungsgebot von Geheimdiensten und Polizei. Das Trennungsgebot wurde wegen der Erfahrungen des Dritten Reiches in unsere Verfassung aufgenommen. Da haben sich die Väter und Mütter des Grundgesetzes etwas dabei gedacht; im Sinne von Demokratie und der Verschränkung von Machtstrukturen, verdammt nochmal. Und deswegen werden wir jedem Versuch Polizeien und Geheimdienste zusammen zu schließen, mit aller Kraft entgegentreten.

Die großen Projekte der Sicherheitsfanatiker sind also noch nicht vom Tisch. Und wenn sie nicht noch immer auf dem Tisch liegen, dann liegen sie griffbereit in der Schublade.

– Die Vorratsdatenspeicherung wird wiederkommen – auch wenn sie ein bisschen abgemildert wird. Wir lehnen die Vorratsdatenspeicherung in jeglicher Form ab, weil sie ein unverhältnismäßiger Eingriff in unsere Grundrechte ist.

– Die Netzsperren und der Aufbau einer Zensurinfrastruktur sind nur auf Eis gelegt. Auch das kommt demnächst wieder und ich sehe jetzt schon, dass die Regierung dann mit der guten alten Leier „Oh, das kommt jetzt aus Europa, da können wir gar nichts machen. Das müssen wir umsetzen“ argumentieren wird. Doch Netzsperren sind mit uns nicht zu machen, weil sie der Anfang einer weitreichenden Zensur sind.

– Die Contentindustrie arbeitet weiterhin Hand in Hand mit der Regierung an Verschärfungen des Urheberrechts. Sie will so genannten Raubkopierern das Internet abklemmen wie in Frankreich. Dabei geht es nur um Profite und Gewinne – unsere Freiheitsrechte sind ihnen schnurzpiepegal. Wir werden diese digitale Todesstrafe nicht zulassen. Stattdessen fordern wir ein neues Urheberrecht, das den Gegebenheiten der digitalen Welt gerecht wird.

– Und in Sachen Netzneutralität will die Regierung den Markt entscheiden lassen, anstatt endlich ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das regelt, dass alle Daten gleich behandelt werden müssen – und das Internet in seiner Struktur frei bleibt. Wir sagen: Netzneutralität muss per Gesetz festgeschrieben werden, denn wenn der Markt das regelt, dann werden wir das Internet nicht wiedererkennen.

Feinde der Freiheit gibt es nicht nur in der Bundesregierung. Im letzten Jahr wurde am Rande dieser Demonstration ein Mann von der Polizei übelst zusammengeschlagen. Der Übergriff wurde gefilmt und ins Netz gestellt – und sorgte für einen Skandal. Damals kündigte der Berliner Polizeipräsident Glietsch an, dass die Kennzeichnung der Polizeibeamten mit Nummern eingeführt werde – doch nichts ist bislang passiert. Und deswegen rufen wir hier der SPD und der Linkspartei zu: wenn ihr hier schon mitdemonstriert, dann setzt doch endlich die Vereinbarungen aus Eurem Koalitionsvertrag um und kennzeichnet die Polizisten mit eindeutigen Nummern. Dann können sich Schläger und Kriminelle in der Polizei nicht länger hinter Uniformen, Corpsgeist und Intransparenz verstecken!

Eines kommt bei unseren Protesten übrigens immer zu kurz: Für die Freiheitsrechte und den Datenschutz von marginalisierten Gruppen steht fast niemand ein. Wer heute HartzIV beantragt, muss einen unerträglichen Datenstriptease beim Amt hinlegen. Und nicht genug: Kontrolleure dürfen die Wohnungen der Betroffenen unangekündigt kontrollieren. Für läppische 340 Euro Sozialhilfe, verlieren diese Menschen elementare Grundrechte und Freiheiten. So etwas dürfen wir nicht hinnehmen.

Und dann sind da noch Migrant_innen und Ausländer. Sie werden nicht nur von Rassisten wie Sarrazin angefeindet, sondern auch in mindestens dreimal so vielen Datenbanken erfasst wie der Durchschnittsdeutsche. Auch hier müssen wir aktiver werden, denn Freiheitsrechte müssen für alle Menschen gelten, die in diesem Land leben – und nicht nur für die deutschen Staatsbürger.

Uns sollte immer klar sein: Freiheitsrechte werden erkämpft. Das macht man Tag für Tag aufs Neue.

Und deshalb werden wir weiterhin mit Mut, Wissen, Information, Wut, Hartnäckigkeit, guten Argumenten, Aktionen und Freude am Protest die Sache der Freiheit vorantreiben. Ob in der Enquete­Kommission oder auf der Straße, beim Grillen mit den Nachbarn oder auf der Arbeit – lasst uns jeden verdammten Tag für unsere Rechte kämpfen. Lasst uns Menschen sensibilisieren und für die großartige Idee der Freiheit begeistern. Dann werden wir irgendwann in der Situation sein, dass wieder mehr Freiheit gewagt wird. Dass wir wieder mehr Freiheit wagen. Und dann werden wir irgendwann in einer Gesellschaft leben, in der die Menschen selbst entscheiden, was für sie und ihre Mitmenschen richtig ist.

Eine Welt, in der wir alle zusammen frei und selbstbestimmt miteinander leben. Das ist eine schöne Idee. Das beste daran ist: diese Idee ist keine Utopie, sie ist machbar – und deshalb lohnt es sich dafür zu kämpfen!

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33 Ergänzungen

  1. grosse bürgerrechtsthemen und lächerliche 7500 teilnehmer.

    geht es noch PEINLICHER?

    OT stammtisch zuffenhausen nach eine AH-turnier:#

    originalton schwarze pest hardliner und sperrbefürworter etc.

    „da habt es ihr bürgerrechtler uns so richtig gegeben, was? der zeitpunkt war noch nie so günstig wie jetzt, um unsere netzpolitik durchzusetzen“

  2. Sehr schöner Beitrag! Dem ist so erstmal nichts mehr hinzuzufügen. Außer, dass das Establishment die Agenda des Totalitären Überwachungsstaates auf Biegen und Brechen weiter fortführen wird. Und das passiert nicht nur in Deutschland, sondern überall in der westlichen Welt.

  3. schöne rede, in der tat.

    sachliche fehler wie die duldungspflicht zur hausdurchsuchung und der regelsatz von 340€ bei alg2 sind aber doofe patzer, die einem im dümmsten fall unter der nase zerrieben und damit gegen einen verwendet werden.
    der vollständigkeit halber: es sind 359€ regelsatz (schlimm genug, aber halt doch noch 19€ mehr) und wohnungskontrollen/hausbesuche fallen nicht unter die mitwirkungspflicht und die weigerung darf nicht sanktioniert werden.

  4. …..“keine auschreitungen etc“

    lol, kein wunder, wenn mehr bullen als demo-teilnehmer da sind,

    und jetzt hört mal alle auf mit der selbstbeweihräucherung und steht endlich dazu, dass diese „demo“ trotz elementarer bürgerrechtsthemen ein FLOP war, und zwar ein richtiger…

  5. Naja, das war doch auch nur die übliche Kost ohne viel Erhellendes. Staat doof, Politiker doof, alles doof, da stimmen wir auch alle zu, aber das kennen wir schon. Die Feindbilder sind klar ersichtlich und alles ist gut.

    Prinzipiell gute Gedanken, aber leider neigen diese Leute ja immer dazu, sich die Welt einfacher zu stricken, als sie ist.

  6. die einlullpolitik des innenhugenotten zeigt eben wirkung.

    so lange, bis er seine „kaffeekränzchen mit netzaktivisten“-maske fallen lässt.

    dann braucht man wenigstens keine demo mehr, denn dann werden fakten geschaffen.

  7. @Alex:
    Was soll das denn schon wieder? Ich bin ja der FDP auch nicht so zugeneigt, aber verwechsle mal nicht deren Spitze mit allen Parteimitgliedern. Prinzipiell gab sich die FDP ja meist etwas staatskritisch, insofern sehe ich da keinen Widerspruch.

    Man muss die FDP nicht mal mögen um diese ideologische Verbohrtheit in der Netzgemeinde bescheuert zu finden. Wer so denkt, dem trau ich überhaupt keine sinnvollen Aktionen zu, denn er ist nicht anders als die etablierten Parteien, er hat nur eine andere Meinung, ist ansonsten aber genau so unfähig zu differenzieren oder mal zu reflektieren.

    Und überhaupt, selbst wenn da CDU stehen würde, die Resultate zählen und da stören mehr Unterstützer auch nicht. Um eine große Bewegung geht es hier dann wohl doch nicht, sondern nur um irgendeinen fanatischen Klassenkampf mit eigener Ideologie.

  8. Monty Cantsins ungekürzte Rede existiert inzwischen als Videomitschnitt zum Mitlesen: http://www.youtube.com/watch?v=USdzTyklGig

    Zur Salamitaktik und der Gewöhnungsträgheit der Überwacher und Überwachten, die sich wie Frösche im langsam immer heißer werdenden Wasser verhalten, gesellt sich auf beiden Seiten Fluktuation und ein Generationswechsel. Die heute aufwachsende Generation kennt die Motive nicht mehr, die mal den Protest gegen die Volkszählung auslösten. Dies existiert wohl nicht auf den Lehrplänen der Schulen.

    So scheint man sich langsam an immer stärkere Überwachung und Verhaltenskontrolle gewöhnt zu haben oder zu gewöhnen, ob nun durch Kundenbindungskarte oder Auswertung und Sanktionierung geschäftlicher und privater Onlineprofile.

    Wenn es Unternehmen zu toll treiben, rettet der Staat ein wenig, fordert dafür aber seine „Belohnung“. Das ist es, woran wir uns langsam gewöhnen (sollen). Die scheinbar gewonnene Sicherheit wirkt dann so einlullend, dass die Betroffenen bereits die, von den Überwachern vereinbarte Aktenübergabe als beruhigend empfinden, obwohl sich die Daten immer noch in fremder Hand befinden. Es ist wie in der Landwirtschaft: Die Daten-Tröge bleiben, nur die Schweine wechseln…

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.