Weitere Debatte um Datenschutz-Tätigkeitsbericht

Die Debatte um den aktuellen Tätigkeitsbericht, den Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar gestern vorlegte, geht weiter. Nachdem Otto Schily sich gestern schon gegen jede Kritik verwahrte, springt ihm jetzt der christdemokratische Hinterbänkler und „Sicherheitsexperte“ Hartmut Koschyk helfend beiseite: „Der von Schaar kritisierten Einführung einer Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten sowie der Forderung eines Gesetzes zur Begrenzung der Telekommunikationsüberwachung wird unter Sicherheitsaspekten eine eindeutige Absage erteilt“. Die Kritik von Schaar sei „Ausdruck seiner ideologischen Prägung“. Die Antiterrorgesetzgebung sollte nicht begrenzt, sondern gleich noch erheblich erweitert werden: „Wesentliche Kernforderungen für eine wirksame Terrorismusbekämpfung wie Kronzeugenregelung, Rasterfahndung und Erleichterungen von Abschiebungen sind nicht oder noch nicht vollständig umgesetzt worden.“

Der „Sicherheitsexperte“ Hartmut Koschyk (Die Webseite grüsst mit „Auf ihn ist Verlass!“) ist scheinbar nicht in der Lage, eine lesbare Webseite anzubieten. Mein Firefox mag sein Menü nicht lesen.

Währenddessen unterstützt der Chaos Computer Club die Kritik von Peter Schaar:

Der Chaos Computer Club begrüßt ausdrücklich die betriebene Aufklärung von Peter Schaar (BDSB) zum Datenschutz und der informationellen Selbstbestimmung, welche seit des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 15. Dezember 1983 Verfassungsrang besitzt. Er wirkt dem Trend der Gleichgültigkeit großer Teile der Bevölkerung entgegen, die in der Weitergabe ihrer personenbezogenen Daten scheinbar keine Gefahr sieht und dem Staat dabei blind vertraut. Die Ursache dürfte darin liegen, dass die damit verbundenen Risiken durch die Politik heruntergespielt werden und eine angebliche Notwendigkeit vorgegaukelt wird, beispielsweise durch Schüren unterschiedlicher Ängste.

Otto Schily scheint mit einer vorschnellen Einführung ab Ende 2005 die Sicherheit der Bürger leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Durch unausgereifte Technik wird ein Missbrauch quasi vorprogrammiert; bei ausgereifter Technik verliert das Individuum nicht nur die Kontrolle über seine Daten und damit über sein Schicksal, sondern es entsteht eine Scheinsicherheit, da durch Verwaltungschaos oder Korruption weiterhin falsche Identitäten mit echten Pässen möglich sind.

Der Innenminister sollte die professionelle Einschätzung des BDSB endlich ernst nehmen und nicht als vermeintlich „inkompetent“ abtun. Statt sich über die durch die Verfassung garantierten Grundrechte hinwegzusetzen um die Einführung einer unausgereiften Technik zu forcieren, sollten sämtliche Spezifikationen für einen angemessenen Überprüfungszeitraum der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.

Und auch die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen weist Schily’s Kritik zurück:


Es ist die gesetzliche Aufgabe des Bundesbeauftragten, das Parlament über Stand und Herausforderungen des Datenschutzes zu unterrichten. Seinen Bericht übergibt er nicht dem Innenminister, sondern aus gutem Grund dem Präsidenten des Deutschen Bundestages.

Mit dem Vorwurf des Bundesinnenministers, Peter Schaar habe seine Kompetenzen überschritten, zeigt Otto Schily nur, dass er sich mit Kritik offenbar schwer tut und dabei selbst die Grenzen seines eigenen
Machtbereichs verkennt. Dass ein unabhängiger Datenschutzbeauftragter sich auch kritisch mit den Vorhaben von Ministerien auseinandersetzt, liegt nicht nur in der Natur der Sache, sondern gehört zu seinen ständigen Aufgaben. Wer das für Majestätsbeleidigung hält, sollte sein Verhältnis zu parlamentarischer Kontrolle in der Demokratie und zum vom Bundestag gewählten Beauftragten überdenken und der Rechtslage anpassen.

Jetzt meldete sich noch Claudia Roth für die Grüne Partei zu Wort:

„Die Kritik von Innenminister Schily, Peter Schaar würde seine Kompetenzen überschreiten, ist unangemessen und falsch. Ein einfacher Blick ins Bundesdatenschutzgesetz hätte genügt, und Otto Schily hätte wissen können: Nach § 26 Bundesdatenschutzgesetz hat der Bundesdatenschutzbeauftragte die Aufgabe, den Deutschen Bundestag und die Öffentlichkeit über wesentliche Entwicklungen des Datenschutzes zu informieren. Zugleich regelt das Gesetz, dass der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung Empfehlungen zur Verbesserung des Datenschutzes geben soll.

Statt selbstherrlichen Versuchen, einen unabhängigen Beauftragten zu maßregeln, sollte der Innenminister sich lieber mit den Vorschlägen des Datenschutzbeauftragten gründlicher auseinandersetzen.

Heise weiß von einer gemeinsamen Stellungnahme der SPD-Bundestagsabgeordneten Ulla Burchardt und Jörg Tauss, die ich aber nicht im Netz finden kann:

Die „jüngsten Auslassungen“ Schilys seien „im Ton inakzeptabel und in der Sache falsch“. Die technischen Mängel und datenschutzrechtlichen Probleme seien seit Jahr und Tag bekannt und noch immer ungelöst. Für die biometrischen Daten im Pass fehle ein zuverlässiger Sicherheitsstandard, erklären sie unter Verweis auf die Ergebnisse einer Studie des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Bei einer zehnjährigen Gültigkeit von Reisepässen könne heute niemand ernsthaft ausschließen, dass die Daten unbemerkt gelesen, kopiert oder verändert werden.

„Reisepässe mit biometrischen Merkmalen werden immer mehr zur persönlichen Obsession des Bundesinnenministers, und dies unter souveräner Missachtung von Bundestag, Datenschützern und wissenschaftlicher Expertise. … Tatsächlich war es gerade das Bundesinnenministerium, das gegen alle Warnungen von Experten die biometrische Vermessung der Bundesbürger durch die europäische Hintertür durchgesetzt hat“.

Einen Tag später wandte sich der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, im Gespräch mit der Netzeitung gegen die Forderung seines Fraktionskollegen Jörg Tauss, Schily solle sich bei Schaar entschuldigen. «Ich halte überhaupt nichts von einer Entschuldigungsdebatte; wir sollten zur Sache zurückkehren», sagte Wiefelspütz.

Der SPD-Innenpolitiker lehnt auch ein von Schaar gefordertes Moratorium bei der Einführung neuer Pässe mit biometrischen Merkmalen strikt ab. «Wir werden nur neue Pässe bekommen, wenn Technik und Abläufe ausgereift sind, deshalb gibt es keinen Grund etwas zu verschieben», so Wiefelspütz zur Netzeitung.

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