GlüStV: Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten?

Gegenüberstellung GlüStV alt und Entwurf neu. Stand 03.12.2010

Aus Sachsen-Anhalt gibt es spannende Neuigkeiten. Jan Wagner, netzpolitischer Sprecher der Linken in Sachsen-Anhalt schrieb mir, dass der Chef der Staatskanzlei (Sachsen-Anhalt ist für den GlüStV federführend) sich heute im Landtag gegen Formulierungen im Vertrag ausgesprochen hätte, „die den Aufbau einer Infrastruktur für Netzsperren implizieren“. Wagner schreibt in seiner Pressemitteilung:

In der heutigen Parlamentsdebatte führte Staatsminister Rainer Robra aus, dass sich die Ministerpräsidenten bei der Ministerpräsidentenkonferenz geeinigt haben, den Novellierungsprozess des Glücksspielstaatsvertrags bis Herbst zu verlängern. Dabei soll insbesondere erreicht werden, jene Formulierungen im Vertrag zu entfernen, die den Aufbau einer Infrastruktur für Netzsperren implizieren. Als LINKE unterstützen wir ausdrücklich, dass die Ministerpräsidenten nun offensichtlich doch planen, Netzsperren nicht als legitimes Mittel zur Durchsetzung eines Konzessionsmodell im Glücksspielsegment durchzusetzen. […]

So erfreulich die Meldung zunächst auch klingt, erlaube ich mir kurz den netzpolitischen Dagegenschlumpf zu geben:

a) Spin & Wording

Die Formulierung „Aufbau einer Infrastruktur für Netzsperren“ – ich nehme an, dass es sich um ein wörtliches Zitat handelt – ist in diesem Kontext bemerkenswert und riecht nach Spin (vgl. „keine Sanktion“). Aus Sicht der Regulierer handelt es bei Sperrverfügungen nach dem Staatsvertrag um ordnungsrechtliche Einzelfallentscheidungen. Damit reden wir formal nicht mehr über eine Infrastruktur für Netzsperren, auch wenn wir de facto und auch technisch immer noch über eine Infrastruktur für Netzsperren reden.

D.h. Sperrverfügungen wären weiter denkbar, auch wenn man sich formal gegen den „Aufbau einer Infrastruktur für Netzsperren“ ausspricht. Schaun‘ mer mal, was in Kürze das Plenarprotokoll zu diesem Punkt hergibt. Interessant dürfte aber vor allem das geplante „Expertengespräch“ nach der Sommerpause werden.

 

b) die Notwendigkeit der Präzisierung

In den letzten Tagen war oft zu hören, dass es sich bei der Neu-Formulierung der Klausel für Netzsperren Anfang des Jahres lediglich um eine (optionale) Präzisierung handeln würde.

Abseits der akademischen Frage der Notwendigkeit einer solchen Präzisierung, die nicht nötig wäre, wenn man keine Netzsperren etablieren will, bleibt hier also offen, ob Netzsperren nicht noch auf anderem Weg abgesichert werden können bzw. sollen. In NRW wurden 2010 bekanntlich bereits zwei Sperrverfügungen gegen Glücksspielanbieter erlassen, ohne dass man auf die dedizierte „Präzisierung“ im aktuellen Entwurf hätte zurückgreifen müssen.

Schauen wir uns kurz die Entwicklung an, zunächst am Beispiel des Entwurftextes von Anfang Dezember:

In der rechten Spalte heißt es erläuternd:

Die Regelungen in den Nm. 4 und 5 dienen der Klarstellung. Danach können Kredit- und Finanzdiensteistungsinstitute (Nr. 4) sowie Diensteanbieter im Sinne des Telemediengesetzes (Nr. 5) im Wege einer dynamischen Rechtsverweisung als verantwortliche Störer herangezogen werden, sofern ihnen zuvor die Mitwirkung an unerlaubten Glücksspielangeboten von der Glücksspielaufsichtsbehörde mitgeteilt wurde. Dies setzt voraus, dass der Veranstalter oder Vermittler des unerlaubten Glücksspielangebots zuvor vergeblich, – inbesondere wegen eines Auslandsbezugs – von der Aufsichtsbehörde in Anspruch genommen wurde.

Preisfrage, wie bei ProSieben. Worum geht es hier?

    1) eine Tüte Gummibärchen
    2) Netzsperren auf Zugangsebene

Offenbar war diese Klarstellung für einige Länder aber noch nicht ausreichend. Im aktuellen Entwurf wurde Paragraf 9 Nummer 5 noch einmal ergänzt (der hervorgehobene Teil ist neu):

[Die Glückspielaufsicht] kann insbesondere […]

5. Diensteanbietern im Sinne des Telemediengesetzes, insbesondere Zugangsprovidern und Registraren, nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die verantwortliche Mitwirkung am Zugang zu den unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird durch Satz 1 insoweit eingeschränkt. Hierdurch sind Telekommunikationsvorgänge im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes betroffen.

Ich denke, wir können die Tüte Gummibärchen ausschließen.

 

c) Der Terminplan und der Druck auf die Parlamente

Last but not least: Die Verlängerung des Novellierungsprozesses führt u.a. dazu, dass die parlamentarischen Kontrollstrukturen der Länder geschwächt werden. Sollte der Vertrag, der bereits ab dem 01.01.2012 seine Wirkung entfalten soll, tatsächlich erst im Oktober von der Ministerpräsidentenkonferenz abgesehen werden, bleiben den Parlamenten etwa 8 Wochen für das formelle Gesetzgebungsverfahren inkl. 1. und 2. Lesung, Fachausschusssitzung und ggf. Expertenanhörungen. Dies ist inbesondere vor dem Hintergrund relevant, dass der bestehende Vertrag zum Jahresende ausläuft, die Länder also durchaus unter Zugzwang sind.

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4 Ergänzungen

  1. Von wegen Präzisierung: Die Bezirksregierung Düsseldorf bekam vom Oberverwaltungsgericht in NRW bestätigt, dass der alte Glücksspielstaatsvertrag die Beschlagnahme von im Ausland legaler Domains nicht erlaubt. Und dann musste eben das Gesetz geändert werden.

    http://bit.ly/kNeyOd

    1. Na, schau! Sofern ich mich erinnere, hatten die Verwaltungsgerichte mit Sperrverfüngen bisher aber keine Probleme (vgl. Büssow (alt), die neuen Verfahren laufen ja noch).

      Wobei, analog zum Urteil beim Domain-HiJacking müsste man doch eigentlich auch argumentieren können, wenn ein überregionale Provider mit einer Sperrverfügung belegt wird, oder?

      Auch dieser dürfte regelmäßig Schwierigkeiten bekommen, die Sperre so einzurichten, dass nur Kunden im Gebiet der Aufsichtbehörde betroffen sind. Zumindest aber dürfte der Aufwand unverhältnismäßig steigen, womit sich die Frage nach der Verhältnismäßig stellt …

    1. @Sören: Ja, danke. Das Gutachten wurde Freitag quasi parallel veröffentlicht (Auf Grzeszicks Position hatte ich auch vor ein paar Wochen schon einmal verwiesen, in Zusammenhang mit dem Entwurf aus Schleswig-Holstein. Siehe auch hier bei Hochgepokert.com).

      Ich wundere mich allerdigs ein, dass Udo Vetter (und Heise Online) die Argumentation des Gutachtens weitgehend unkommentiert durchreicht (Ok, bei Heise dürfte es die geschickte Terminwahl der Aussendung vor dem Wochenende gewesen sein ;).

      Wie auch immer, soweit ich es verstanden habe (siehe auch eine Frage zur Kohärenz oben), scheint Grzeszicks Position unter Juristen ziemlich umstritten (Thema Niederlassungsfreiheit: In der Entscheidung des EuGH werden durchaus Schranken angesprochen. Eine ist eben der Schutz der Spieler, auf dem das gesamte Konstrukt balanciert).

      Vor allem aber geht es da mit den Automaten auch – imo – um einen Nebenkriegsschauplatz (wie immer mal wieder erwähnt: Der Vertragsentwurf ist an vielen Stellen defekt …).

      Wie gesagt, man kann so argumentieren, muss es aber nicht. Vielleicht gibt es da nächste Woche auch noch ein Update. Ich bin mit Betfair in Kontakt, nächste Woche aber weitgehend unterwegs.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.